Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegner des Systems

Gegner des Systems

Titel: Gegner des Systems
Autoren: William Jon Watkins
Vom Netzwerk:
 
1
     
    Es war eine ruhige Nacht, eine warme Sommernacht, und Welsh war froh darüber, daß er drinnen war. Die Luft draußen bewegte sich nicht, und sein Haus schien auf dem Boden eines Teichs zu stehen. Obwohl die Filter in voller Kapazität arbeiteten, sickerte doch die Luft hindurch und breitete sich im Haus aus. Welsh sah geistesabwesend von seiner Zeitung auf und schnaubte, aber der Gestank blieb in seiner Nase. Er blieb überall.
    Die Arbeiten, die auf seinem Schreibtisch vor ihm aufgestapelt waren, schienen mit einem dünnen Film beschichtet, und wenn er in seine besonders breite Eingangshalle sah, konnte er fast eine Art Nebel erkennen, der in der Luft hing. Es war der vierte Tag einer Windstille, und er wußte genau, wie draußen die Luft aussah: Gelb und verdreckt lastete sie über allem wie die Ausgeburt einer Hexe. Obwohl es noch eine halbe Stunde dauerte, bis die Sonne unterging, war es schon dunkel. Die Luft war sicher dick wie Wachs.
    Draußen, wo er sie nicht sehen konnte, bewegten sich drei Gestalten in der Dunkelheit wie Finger der gleichen Hand. Er hörte nichts, wußte aber doch, daß dort draußen jemand war. Er stand von seinem Schreibtisch auf und ging zum Fenster, um durch einen Spalt an der Seite des Vorhangs hinauszusehen. Es gab nichts zu sehen. Es gab nichts zu hören. Wahrscheinlich waren es die Rehabs.
    Wenn sie es tatsächlich waren, würde man nichts von ihnen hören, bis sie die Tür eintraten und ihn ergriffen. Die Rehabilitationstruppe führte ihre Bewegungen lautlos, schnell und tüchtig durch. Dafür war er selbst teilweise verantwortlich, und das wußte er auch. Sie hatten eine unfehlbare Fertigkeit darin, bei ihren Verhören Zweifel festzustellen, und der Zweifler wurde entweder von ihnen zur Rehabilitation mitgenommen oder auf der Stelle terminiert. Auch dafür war er teilweise verantwortlich, ganz gleich, ob das in seiner Absicht gelegen hatte oder nicht.
    Er zuckte die Achseln und ging wieder weg vom Fenster. Er gehörte zu den wenigen Personen, die ohne einen Anflug von Panik an die Rehabs denken konnten. Das allgemeine Entsetzen, das die Rehabs verbreiteten, lag in einer Perversion seiner Kommunikationstechnik begründet, und sie bargen keinen Schrecken für ihn. Obwohl er nicht über jene Medikamente verfügte, die die Rehabs für die Zermürbung ihrer Opfer benutzten, war er doch ein natürlicher Meister ihrer Techniken, und diese Meisterschaft war zum Teil dafür verantwortlich, daß er selbst in den schlechtesten Zeiten nicht in eine direkte Konfrontation mit der Truppe geriet. Er ging zu seinem Schreibtisch mit seinen schier endlosen Stapeln von Anfängerarbeiten zurück. Vor drei Jahren hatte der Stapel nur ein Zwölftel seines jetzigen Umfangs gehabt, aber die Arbeiten damals waren von fortgeschrittenen Studenten angefertigt worden und daher viel langweiliger gewesen. Mit den jetzigen beschäftigte er sich viel lieber.
    In der Küche holte Eve das Trinkwasser, das fünfmal gekocht hatte, und fing an, die erste der drei Chemikalien hinzuzugeben, die es genießbar machten. Die Beutel mit den Geschmackszugaben lagen, schon geöffnet, neben ihr auf der Spüle. Ein kleiner Haufen eines rosa Pulvers war aus einem der Beutel herausgesickert. Eine Wasserlache an seiner Kante verwandelte ihn langsam in einen permanenten Fleck auf dem Edelstahl der Ablage. Sie wandte sich nicht zur Seite, um ihn anzusehen, aber er wußte, daß sie seine Gedanken spürte.
    Welsh ordnete die Arbeiten zum zehnten Mal und legte sie alle auf einen Stapel. Das ungeöffnete Handbuch der Rehabilitationstruppe lag neben den Arbeiten in seiner Plastik-Versandtasche. Er war sich nicht sicher, ob der Verlag es ihm als Geste der Höflichkeit oder der Drohung geschickt hatte. Sicher, er hatte schon lange über die Verwendung seiner Techniken in diesem Buch geklagt, und er kämpfte noch immer gegen den Einsatz seiner Vorstellungen, aber das änderte nichts daran, daß er offiziell ein Held der Regierung war. Ganz gleich, wie heftig er seine Verbindung damit abstritt, erschien sein Name doch siebzigmal in den Fußnoten des Handbuchs.
    Die Tatsache, daß er in den zehn Jahren, seit er das erste Mal über die subtile Macht, die einer Überredung auf dem nonverbalen Bereich zukommt, geschrieben hatte, daß er in diesen zehn Jahren kein einziges Mal auch nur eine Andeutung über die Verwendung seiner nonverbalen Komponente gemacht hatte, die nicht friedlich gewesen war, war praktisch bedeutungslos, auch für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher