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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit
Autoren: Fritz Leiber
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kleine, zierliche Rothaarige, die am Stadttheater arbeitete. Die Corona Heights sahen jetzt völlig verändert aus, nachdem die Winterregen die kahlen Hänge mit frischem Grün bedeckt hatten. Und doch gab es eine überraschende Erinnerung an Franz’ frühere Besuche: Sie entdeckten die beiden kleinen Mädchen mit ihrem Bernhardiner. Franz wurde bei der unverhofften Begegnung ein wenig blass, fing sich aber rasch wieder. Bonita spielte eine Weile mit ihnen und behauptete höflicherweise, dass es ihr Spaß mache. Alles in allem wurde es ein hübscher Nachmittag, aber niemand setzte sich auf den Bischofssitz oder suchte zu seinen Füßen nach Spuren einer alten Begräbnisstätte. Franz bemerkte später: »Manchmal glaube ich, dass die strikte Anweisung, alte Knochen nicht wieder auszugraben, die Wurzel aller übersinn … aller übernatürlichen Phänomene ist.«
    Er versuchte, sich erneut mit Jaime Byers in Verbindung zu setzen, doch er war telefonisch nie erreichbar, und Franz’ Briefe blieben unbeantwortet. Später erfuhr er, dass sich der wohlhabende Dichter und Essayist zusammen mit Fa Lo Suee (und wahrscheinlich auch Shirley Soames) auf eine ausgedehnte Weltreise begeben hatte.
    »Irgend jemand tut das immer nach dem Ende einer übernatürlichen Horror-Story«, bemerkte er trocken, mit etwas gezwungenem Humor. »Der Hund von Baskerville, et cetera, et cetera. Ich hätte wirklich gerne gewusst, wer seine Quellen waren, ich meine außer Klaas und Ricker. Aber vielleicht ist es besser, wenn ich meine Nase nicht mehr in diese Sache stecke.«
    Er und Cal teilen sich jetzt ein Apartment auf dem Nob Hill, und obwohl sie nicht verheiratet sind, schwört Franz, dass er nie wieder allein leben würde. Er hatte nach jenem entsetzlichen Erlebnis nie wieder in Apartment 607 geschlafen, nicht eine einzige Nacht.
    Was Cal in jener Nacht hörte und sah (und tat), beschrieb sie so: »Als ich die Treppe hinauflief und den dritten Stock erreichte, hörte ich Franz schreien. Ich hatte den Schlüssel zu seinem Apartment schon in der Hand. Als ich die Tür aufstieß, sah ich all diese Papierschnitzel um ihn herumwirbeln, wie in einer Windhose. Und im Zentrum dieses Wirbels umklammerten sie ihn und bildeten eine Art rohen, dünnen Pfahl mit einer grauenhaften Spitze. In meiner Angst sagte ich irgend etwas, das mir gerade einfiel. Der Pfahl zerplatzte wie eine mexikanische piñata und wurde Teil des Papierwirbels, der dann sehr rasch in sich zusammenfiel. Die Schnitzel lagen in einer mehrere Zoll dicken Schicht auf dem Boden. Sobald ich Franz’ Nachricht von Saul erhalten hatte, wusste ich, dass ich so rasch wie möglich zu ihm musste, aber ich konnte erst nach dem Brandenburgischen fort.«
    Franz ist überzeugt, dass das Fünfte Brandenburgische Konzert ihn irgendwie gerettet hat – Bachs Konzert und Cals rasches Handeln. Aber über das Wie hat er nicht einmal eine plausible Theorie. Cal sagte nur: »Ich glaube, es ist ein Glücksumstand, dass Bach einen mathematischen Verstand hatte, und dass Pythagoras musikalisch war.«
    Einmal, in einer nachdenklichen Stimmung, spekulierte sie: »Weißt du, die vielen Gaben und Talente, die man der Geliebten von de Castries’ Vater (und auch Thibauts verschleierter Lady) zugeschrieben hat, würden ziemlich genau denen eines Wesens entsprechen, das zur Gänze aus zerfetzten, vielsprachigen, okkulten Büchern bestünde: ein erstaunlich großes Repertoire von Sprachen, ein fast unbegrenztes Wissen um alles Übernatürliche, Unheimliche, gründliche sekretariale Fähigkeiten, die Tendenz, auseinanderzubersten wie eine Papierpuppe, und die Instinkte eines erbarmungslosen nächtlichen Raubtiers, jedoch mit einem Wissen, das bis in die Zeit des alten Ägypten zurückreicht, erotische Virtuosität (darauf bin ich ein wenig eifersüchtig), fundierten Kenntnissen in Kultur und Kunst …«
    »Viel zu viel für meinen durchschnittlichen Verstand«, unterbrach sie Franz schaudernd.
    Aber Cal sprach unbeirrt weiter, ein wenig maliziös. »Und dann deine Angewohnheit, sie sehr zärtlich von Kopf bis Fuß zu streicheln und ihr vor dem Einschlafen Liebesworte zuzuflüstern. Kein Wunder, dass sie Feuer fing!«
    »Ich habe immer gewusst, dass man uns eines Tages miteinander erwischen würde.« Er versuchte, das Gespräch mit einem Scherz zu entschärfen, doch seine Hand zitterte ein wenig, als er sich eine Zigarette anzündete.
    Eine ganze Weile achtete Franz sehr genau darauf, kein einziges Buch und keine
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