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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit
Autoren: Fritz Leiber
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›Unheimlicher Untergrund‹ in Romanform zu bringen, damit der Mob der Zuschauer diese melange von Hexerei, Watergate und infantiler Liebe, die er auf dem Bildschirm verfolgte, auch lesen konnte, falls jemand Lust dazu hatte. Vor etwa einem Jahr hätte er um diese Stunde nach innen geblickt, sich auf seine Misere konzentriert und sich Sorgen über den ersten Drink dieses Tages gemacht: ob noch einer da war, oder ob er in der vergangenen Nacht alles leergetrunken hatte. Aber das war Vergangenheit, eine andere Sache.
    Leise, traurig klingende Nebelhörner warnten einander auf dem Wasser der Bay. Franz’ Gedanken zogen für ein paar Sekunden zwei Meilen weiter, zu der Bay von San Francisco, über der noch dichterer Nebel lag, aus dem nur die oberen Enden der vier ersten Streben der nach Oakland führenden Brücke ragten. Unter dieser frostig wirkenden Decke bewegten sich lange Bänder von qualmenden, ungeduldigen Wagen, stampfenden Schiffen, und darunter, tief in der Erde, unter dem Wasser und dem Schlamm der Bucht, doch gehört von den Fischern in ihren kleinen Booten, ertönte das unheimliche Donnern der BART { * } -Züge, die durch die tiefliegenden Tunnelröhren schossen und den größten Teil der Pendler zur Arbeit brachten.
    Auf der Seeluft tanzten die fröhlichen, süßen Klänge eines Telemann-Menuetts zu seinem Fenster herauf, gespielt von Cal, die zwei Stockwerke tiefer wohnte, auf ihrem Recorder. Sie spielte es für ihn, sagte er sich, obwohl er zwanzig Jahre älter war als sie. Er blickte das Ölporträt seiner verstorbenen Frau Daisy an, das über dem Studiobett hing, neben einer Zeichnung des Fernsehturms – spinnenartige, schwarze Linien auf einem großen, rechteckigen, fluoreszierenden, roten Karton – und er empfand keinerlei Schuldgefühl. Drei Jahre alkoholisierter Trauer – eine Rekordzeit! – hatten das alles abgetragen, und fast genau vor einem Jahr war es vorbei gewesen.
    Er senkte den Blick auf das Studiobett, zur Hälfte ungemacht. Auf der nichtbenutzten Hälfte, entlang der Wand, waren unordentliche Stapel von Magazinen, Zeitschriften, Science Fiction-Taschenbüchern, ein paar Kriminalromanen, einer Anzahl farbiger Servietten, die er aus verschiedenen Restaurants mitgenommen hatte, und einem halben Dutzend dieser kleinen, bunten Broschüren der Ratgeber-Reihen Golden Guides und Knowledge Through Color – seine Unterhaltungslektüre, der Ausgleich zu seinem Arbeitsmaterial und Nachschlagewerken, die nebeneinander auf dem Kaffeetisch neben dem Bett aufgereiht waren. Während der drei Jahre, die er in alkoholisiertem Stupor auf dem Bett gelegen und in die Glotze gestarrt hatte, waren sie seine wichtigsten – seine einzigen – Gefährten gewesen; ständig hatte er in ihnen geblättert und von Zeit zu Zeit ihre hellen, mit leicht fasslichen Texten bedruckten Seiten gelesen. Erst vor einem Monat war ihm aufgefallen, dass die wie zufällig wirkende Unordnung dieser Bücher und Broschüren auf der anderen Hälfte des Bettes an die Gestalt einer Frau erinnerte, die in gelöster Haltung auf der zugedeckten Hälfte des Bettes lag – und das war der Grund, warum er sie nie auf den Boden gelegt hatte, warum er sich mit einer Hälfte des Bettes begnügt hatte; warum er sie unbewußt in der Form eines Frauenkörpers arrangiert hatte, eines Frauenkörpers mit langen, langen Beinen. Diese Sammlung war ein ›Studentenliebchen‹, eine ›Scholar’s Mistreß‹, erkannte er in Analogie zu dem ›Dutch Wife‹, jenem langen, schlanken Kissen, das Schläfer in tropischen Ländern zwischen ihre Beine klemmen, um den Schweiß aufzusaugen – ein verschwiegener Spielgefährte, ein bezauberndes, aber belesenes Callgirl, eine schlanke, inzestuöse Schwester, ein ständiger Kamerad seiner schriftstellerischen Arbeiten.
    Mit einem liebevollen Blick auf das Ölporträt seiner toten Frau und einem erwartungsvollen Gedanken an Cal, die noch immer die pirouettierenden Töne des Menuetts zu ihm heraufsandte, sagte er leise und mit einem konspirativen Lächeln zu der schlanken, kubistischen Gestalt, die eine ganze Hälfte des Bettes einnahm: »Keine Angst, Darling, du wirst immer mein bestes Mädchen bleiben, auch wenn wir es vor allen anderen streng geheim halten müssen.« Mit diesen Worten wandte er sich wieder dem Fenster zu.
    Es war der Fernsehturm, der so modern-schlank auf der Sutro Crest stand, seine drei langen Beine tief im Nebel versunken, der ihn nach seiner langen Flucht in die alkoholische Traumwelt
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