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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit
Autoren: Fritz Leiber
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gesichert war und vor langer Zeit einmal Zugang eines Müllschluckers oder Speiseaufzugs gewesen sein mochte (niemand konnte sich an ihren Verwendungszweck erinnern), und an der großen, vergoldeten Tür des Lifts, neben der sich ein seltsames, schwarzes Fenster befand. Er stieg die mit einem roten Läufer bedeckte Treppe hinab, die in Abschnitten von sechs, drei und noch einmal sechs Stufen pro Stockwerk um einen schmalen, rechteckigen Treppenschacht verlief, der von dem winzigen Oberlicht im Dach des Gebäudes nur einen Bruchteil des Lichts erhielt, das man gebraucht hätte, um wirklich sehen zu können. Er hielt sich nicht im fünften Stockwerk auf, wo Gunnar und Saul wohnten, warf jedoch einen raschen Blick auf ihre Wohnungstüren, die einander diagonal gegenüberlagen, bevor er zum vierten Stockwerk weiterging.
    In beiden Etagen sah er die seltsamen, schwarzen Fenster neben der Lifttür, Fenster, die nicht geöffnet werden konnten, und mehrere der schwarzen, drückerlosen Türen. Es war komisch, dass es in allen alten Gebäuden irgendwelche geheime Räume gab, die nicht verborgen waren, jedoch von niemandem bemerkt wurden; wie die fünf Luftschächte dieses Gebäudes zum Beispiel, deren Fenster schwarz übermalt worden waren, um ihre winzigen Ausmaße zu verbergen, und die nicht mehr benutzten Besenschränke, die durch die steigenden Kosten für Reinigungspersonal überflüssig geworden waren, und in den Wänden der Korridore die mit Kappen verschlossenen Anschlüsse des Staubsaugersystems, die sicher seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden waren. Er bezweifelte, dass irgendeiner der Bewohner dieses Gebäudes sie jemals bewusst wahrgenommen hatte, außer ihm, der durch den Fernsehturm und alles andere erneut zur Realität erweckt worden war. Heute erinnerte sie ihn für einen kurzen Moment an die alten Zeiten, als dieses Gebäude wahrscheinlich ein mittelgroßes Hotel gewesen war, mit affengesichtigen Pagen, und mit Zimmermädchen, die sich seine Fantasie als Französinnen vorstellte, die kurze Röcke trugen und aufreizend lachten (wahrscheinlich waren sie mürrische, fette Trullen gewesen, korrigierte seine Logik). Er klopfte an die Tür von 407.
    Es war einer dieser Tage, an denen Cal wie ein ernsthaftes, siebzehnjähriges Schulmädchen aussah, das sich fest in seine Träume versponnen hatte, und nicht zehn Jahre älter, wie sie es war. Lange, dunkle Haare, blaue Augen, ein ruhiges Lächeln. Sie hatten zweimal miteinander geschlafen, doch jetzt küssten sie sich nicht – er wollte nicht aufdringlich sein –, und sie bot es ihm nicht an – und außerdem war er sich nicht darüber im klaren, wie weit er sich binden wollte. Sie lud ihn zu dem Frühstück ein, das sie gerade vorbereitete. Obwohl das Zimmer genauso ausgelegt war wie das seine, wirkte es doch viel hübscher – zu hübsch für das alte Gebäude –, sie hatte es unter Mithilfe von Saul und Gunnar vollständig renoviert und neu eingerichtet. Aber es hatte keinen Ausblick. Beim Fenster standen ein Notenpult und ein elektronisches Klavier, das im Grunde genommen nur aus einer Tastatur und einer schwarzen Lautsprecherbox bestand und mit einem Kopfhörer ausgestattet war, so dass man darauf üben konnte, ohne seinen Nachbarn lästig zu fallen.
    »Ich bin heruntergekommen, weil ich dich das Menuett von Telemann spielen hörte«, sagte Franz.
    »Vielleicht habe ich es gespielt, um dich herzulocken«, antwortete Cal, ohne sich umzudrehen. Sie stand vor der Kochplatte und dem Toaster und bereitete das Frühstück vor. »Es liegt ein Zauber in Musik, weißt du.«
    »Denkst du an Die Zauberflöte?« fragte er. »Dein Recorder klingt wie eine Zauberflöte.«
    »In allen Holzblasinstrumenten liegt ein Zauber«, versicherte sie ihm. »Es wird behauptet, dass Mozart das Arrangement seiner Zauberflöte von der Mitte an verändert habe, damit es nicht allzu sehr dem einer anderen, zeitgenössischen Oper gliche; Das verzauberte Fagott.«
    Er lachte. »Noten haben zumindest eine übernatürliche Kraft. Sie haben die Fähigkeit der Levitation, die können sich in die Luft erheben und fliegen. Das können Worte natürlich auch, aber längst nicht so gut.«
    »Wie kommst du darauf?« fragte sie über die Schulter.
    »Durch Cartoons und Comics«, sagte er ihr. »Worte brauchen Blasen, um sie festzuhalten, aber Noten kommen einfach aus dem Klavier oder irgendeinem anderen Instrument geflogen.«
    »Noten haben diese kleinen, schwarzen Flügel«, sagte sie,
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