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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung
Autoren: Rafael Seligmann
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RUBINSTEINS VERSTEIGERUNG
    »Guten Tag. Mein Name ist Taucher. Einige von Ihnen kennen mich bereits. Ich werde bis auf Weiteres Herrn Faden im Deutschunterricht vertreten.«
    Und ob ich dich kenne!
    »Meine Herren, das Klassenzimmer ist mir zu militärisch-exakt geordnet. Wir wollen hier aber nicht exerzieren, sondern diskutieren und voneinander lernen.« Sie sieht uns direkt an – auch mich. »Ich möchte Sie daher bitten, einen Halbkreis zu bilden.«
    Einige Typen schieben missmutig ihre Bänke auseinander.
    »Nur nicht so schüchtern. Diskussion ist nur auf gleicher Ebene möglich. Hier sollen keine Lehren ex cathedra verkündet werden. Ich möchte deshalb, dass auch mein Pult in den Halbkreis integriert wird. Bislang zieht sich lediglich ein dünner Heiligenschein um meinen Platz.« Mit kurzen, schnellen Schritten geht sie auf die erstbeste freie Bank zu, greift sie sich samt dazugehörigem Sessel und schiebt alles direkt an ihr Pult. »Also, wer setzt sich neben mich?« Sie lächelt.
    Warum nicht ich? Meine Schläfen pochen. Was macht mich an dieser Frau verrückt? Sie sieht nicht mal besonders gut aus. Relativ groß, kleiner Busen, breiter Hintern, lange,muskulöse Beine. Ihr Gesicht ist mir anfangs kaum aufgefallen, lediglich die vollen blassrosa Lippen und die hohen Backenknochen. Vor etwa einem halben Jahr aber hat sie mich auf dem Gang irgendeine Belanglosigkeit gefragt, sie hat mich dabei so warm angesehen. Ich habe Herzklopfen bekommen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und jetzt soll ich die Frau fast täglich sehen.
    Trau dich! »Ich.« Ein Rabe wäre stolz auf mein Gekrächze.
    »Na also! Setzen Sie sich gleich nach vorn, Rubinstein.«
    Ich packe die Mappe, bewege mich auf ihr Pult zu. Sogar ein Grinsen gelingt mir.
    Kaum sitze ich, weicht die Hitze in meinem Kopf einer wohligen Wärme. Hinter mir wird gerückt und geschoben. Sie ist jetzt meine Nachbarin! Ihre Füße stecken in flachen Riemchensandalen. Die Zehennägel sind blassrosa lackiert. Sieht richtig nackt aus.
    Plötzlich steht sie auf, geht auf meinen Platz zu, stellt sich neben mich. Gelassen greifen ihre warmen, festen Finger nach meiner Linken, langsam, aber bestimmt zieht sie meine Hand hoch. Mir schießt das Blut ins Gesicht. Ehe ich oder ein anderer auf diese Handlung reagieren können, doziert Hilde Taucher mit ruhiger Stimme: »Ja, Leute, Mut zum nonkonformistischen Handeln wird gelegentlich belohnt, wie Sie sehen.«
    Mit einem Schlag löst sich die allgemeine Lähmung. Der Lärm schwillt wogenartig an. Schreien, Pfeifen, Trampeln. Dazwischen Rufe: »Ich auch!« »Umsetzen!« »Partnertausch!«
    Sachte lässt sie meine Hand sinken und meint mit ruhigerStimme: »Tut mir leid, meine Herren, Sie haben den historischen Moment verpasst.«
    Ich bin berauscht. Konfuse Empfindungen und Gedankenfetzen schießen mir durch den Schädel. »Leute, ihr werdet euch wundern. Wenn jemand wirklich so scharf darauf ist, neben unserer Pädagogin zu sitzen und ihr Händchen zu halten, bitte, ich tausche gern«, schreie ich. In diesem Moment bin ich erstmals unumstrittener Star der 13b. Was hat mich dazu gemacht? Egal! Ich muss am Ball bleiben! Ich muss!
    »Ich!« »Ich!« »Ich!« »Nein, ich!«, kreischt es aus der Klasse.
    »Hört mal zu, Jungens«, kommt es heiser aus mir heraus. »Bei diesem Andrang muss ich König Salomo spielen. Hiermit versteigere ich meinen Platz.«
    Woher diese Idee?
    »Fünf Mark!«, brüllt Schön.
    »Zehn!«, schreit Kleiner.
    »Zwanzig!«
    »Fünfundzwanzig!«
    »Fünfundzwanzig zum Ersten, zum Zweiten …«, antworte ich schrill.
    »Vierzig!«
    »Fünfzig!«
    »Fünfzig Mark und zwölf Pfennig!«, ruft Klassenkomiker Bergmann.
    »Schluss jetzt, ihr Schlappis! Hundert Mark!«, beendet Kraxmayer in bestimmtem Ton die Auktion. Ohne besondere Eile fischt er den blauen Geldschein aus seiner Brieftasche, nimmt seine Mappe und marschiert mit weit ausholendenSchritten auf mich zu. Er drückt die Banknote in meine Hand, die ihm mechanisch entgegenkommt. Ich muss mich zwingen, aufzustehen und den Platz freizumachen.
    Stille.
    »Da schau her! Kaum reicht ihm eine deutsche Frau die Hand, schon versteigert der Rubinstein sie meistbietend. Jetzt verstehe ich, wie ihr zu eurem Geld kommt«, tönt Franz Bauriedls gedehnte Stimme in meinem Rücken.
    Du musst wieder handeln, sofort! Sonst bist du deine Rolle als Held der Klasse unwiderruflich los. Du musst dem Bauriedl eine scheuern! Er ist zwar einen halben Kopf größer als du,
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