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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit
Autoren: Fritz Leiber
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um aufs höchste erregt zu sein.«
    »Wahrhaftig«, sagte Cal, »du hast dir darüber eine Menge Mühen und Gedanken gemacht. Aber ich begreife, warum du es getan hast. Es ist schon très romantique, nur diese ausgebleichte Rohseide und das Reispapier zu fühlen.«
    »Ich habe eine besondere Beziehung zu diesem Buch«, sagte Franz und ließ seine Stimme, ohne sich dessen bewusst zu werden, ein wenig sinken. »Ich habe es vor vier Jahren gekauft, musst du wissen, bevor ich in dieses Haus eingezogen bin, und sehr oft darin gelesen. Der Mensch mit der violetten Tinte (ich denke, dass es Smith ist) schreibt immer wieder über einen ›Besuch bei Tiberius in 607 Rhodes‹. Im Grunde genommen ist das Tagebuch – zum größten Teil jedenfalls – ein Bericht über eine ganze Reihe solcher Besuche. Dieses ›607 Rhodes‹ blieb in meinem Gedächtnis haften, und als ich mir eines Tages eine billigere Bleibe suchte und man mir hier das Apartment zeigte …«
    »Natürlich das, in dem du jetzt wohnst, Nummer 607«, unterbrach Cal.
    Franz nickte. »Ich hatte das Gefühl, als ob es auf irgendeine geheimnisvolle Weise vorbestimmt oder vorbereitet worden sei. Als ob ich nach ›607 Rhodes‹ hätte suchen müssen und es nun gefunden hatte. In jenen Tagen hatte ich eine Menge mysteriöser Ideen. Ich wusste nicht immer, was ich tat, oder wo ich war: zum Beispiel habe ich völlig vergessen, wo sich dieser fabelhafte Laden befand, in dem ich diese beiden Bücher gekauft habe, und auch seinen Namen, falls er einen haben sollte. Tatsache ist, dass ich damals fast immer betrunken war. Punkt.«
    »Das kann man wohl sagen«, stimmte Cal ihm zu, »aber auf eine stille, ruhige Art. Saul, Gun und ich haben uns damals eine Menge Gedanken über dich gemacht und Dorotea Luque und Bonita ausgequetscht.« Sie meinte damit die peruanische Hausverwalterin und ihre dreizehnjährige Tochter. »Doch selbst damals bist du uns nicht als ein gewöhnlicher, haltloser Säufer erschienen. Dorotea erklärte uns, du schriebest ›ficcion, die Angst einjagt, über espectros y fantasmas de los muertos y las muertas‹, und dass sie dich trotzdem für einen Gentleman hielte.«
    Franz lachte. »Erscheinungen und Phantome von toten Männern und Frauen. Typisch spanisch! Trotzdem hast du bestimmt niemals vorausgesehen …« Er brach den angefangenen Satz ab.
    »Dass ich eines Tages mit dir schlafen würde?« brachte Cal ihn zu Ende. »Da würde ich an deiner Stelle nicht zu sicher sein. Ich habe schon immer erotische Fantasien über ältere Männer gehabt. Aber sage mir, wie hat dein damaliger alkoholisierter Verstand in diese ›607 Rhodes‹-Sache hineingepasst?«
    »Überhaupt nicht«, gab Franz unumwunden zu. »Obwohl ich damals wie heute glaube, dass dieser Mensch mit der violetten Tinte damit einen ganz bestimmten Ort meinte. Außerdem war da die klar erkennbare Verbindung zu Tiberius’ Verbannung auf die Insel Rhodos durch Augustus, wo der zukünftige römische Kaiser die Kunst der Rhetorik studierte und sich nebenbei mit sexuellen Perversionen und Hexerei befasste. Der Mensch mit der violetten Tinte nennt nicht immer den Namen Tiberius, musst du wissen. Manchmal ist es Tybalt, manchmal Theobald, und einmal Thrasyllus, das war der Name von Tiberius’ persönlichem Wahrsager und Magier. Aber immer wieder kommt dieses ›607 Rhodes‹ vor. Und einmal ist es Theudebaldo, und einmal Dietbold, doch dreimal Thibaut, und das macht mich sicher – neben mehreren anderen Dingen –, dass es de Castries gewesen sein muss, den Smith fast täglich besucht hat und auf den sich seine Tagebucheintragungen beziehen.«
    »Franz«, sagte Cal, »ich finde das alles sehr interessant, aber jetzt muss ich mich wirklich auf das Konzert vorbereiten. Es ist schon schwer genug, den Harfenpart auf einem scheppernden elektronischen Klavier üben zu müssen, und morgen bringen wir noch dazu ein ziemlich schwieriges Stück: das fünfte Brandenburgische Konzert.«
    »Ich weiß. Entschuldige, dass ich dich aufgehalten habe. Es war sehr gedankenlos von mir. Ich bin eben ein male chauvinist …« Franz stand auf.
    »Nimm’s nicht so schwer«, sagte Cal lächelnd. »Ich habe jede Minute genossen, wirklich; aber jetzt muss ich arbeiten. Hier, nimm deine Kaffeekanne – und diese Bücher, um alles in der Welt, sonst werde ich noch versucht, sie zu lesen, wo ich doch üben muss. – Und Franz«, rief sie ihm nach, als er zur Tür ging.
    Er wandte sich um.
    »Sei vorsichtig, wenn du in die
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