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Abgezockt

Abgezockt

Titel: Abgezockt
Autoren: Simon Wood
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1
    A uf der ruhigen zweispurigen Landstraße nahm Josh Michaels sich einige Freiheiten bei dem Tempolimit. Warum auch nicht? Er war zum Feiern aufgelegt. Wie sich herausgestellt hatte, war sein Treffen mit dem Energieversorger die Übernachtung in Bakersfield wert gewesen. Er freute sich auf seine erste Leistungsprämie, wenn das Wasserwerk in Betrieb genommen wurde.
    Zur Belohnung nahm er statt der I-5 nach Sacramento die gewundene Landstraße und genoss die Herausforderung der schärfsten Kurven und kürzesten Geraden, die man außerhalb einer Rennstrecke erleben konnte. Dass Streifenwagen auf dem Land eine Seltenheit waren, gab ihm Gelegenheit, nach Herzenslust das Gesetz zu übertreten. Und deshalb fuhr er doch Landstraße und nicht Autobahn, verdammt! Weil es einfach Spaß machte!
    Eine Hand auf dem Lenkrad, zog Josh sein Handy aus der Brusttasche. Er drückte die Schnellwahltaste und hörte den Signalton, während die Verbindung hergestellt wurde.
    »Hallo, hier Michaels«, sagte eine Mädchenstimme.
    »Hallo. Könnte ich bitte mit der Hausherrin sprechen?«, erwiderte Josh scherzhaft.
    »Am Apparat.«
    »Hi, Liebling, wie geht es dir? Schön, deine Stimme zu hören. Du hast mir ja so gefehlt. Alles in Ordnung zu Hause? Hast du die Unterlagen abgeschickt, damit wir unsere Tochter zur Adoption freigeben können und sie endlich vom Hals bekommen?«
    »Bist du das, Daddy?«
    »O nein! Voll erwischt«, sagte Josh lächelnd.
    »Ich hab deine Stimme sofort erkannt.« Seine Tochter war von Joshs plumpem Täuschungsmanöver unbeeindruckt.
    »Ich wär wohl doch kein guter Superheld, was?«, fragte er grinsend.
    »Nein«, antwortete sie abfällig.
    Josh hörte seine Frau im Hintergrund mit Abby sprechen.
    »Ja, es ist Daddy, und er sagt schon wieder, er will mich weggeben«, erklärte das Mädchen seiner Mutter, bevor es sich noch einmal an Josh wandte. »Hier ist Mami.«
    »Ich wünschte, du würdest nicht dauernd so mit ihr reden«, sagte Kate vorwurfsvoll. »Irgendwann glaubt sie dir noch.«
    »Abby weiß, dass ich nur Spaß mache.«
    »Ich will’s hoffen. Sonst kannst du nämlich ihre Therapie bezahlen. Wo bist du überhaupt?«
    »Dreißig Minuten von euch weg.«
    »Fährst du noch mal ins Büro?«
    »Nein. Ich rufe gleich dort an, aber ich fahre erst wieder morgen dorthin.«
    »Schön, dann bis nachher.«
    »Es wird so etwa vier Uhr.«
    Josh beendete das Gespräch und wählte die Nummer seiner Firma. Er informierte den Projektleiter kurz über die Inspektion des Baugrundstücks, das Prüfungsgutachten und den neuen Preis. Für morgen früh versprach er, ihn ausführlich ins Bild zu setzen. Er drückte die »Aus«-Taste und legte das Handy auf den Beifahrersitz.
    Nach Erledigung seiner Anrufe bereitete er sich auf den Endspurt vor.
    Er verlangsamte noch einmal bei einer der versprengten Ortschaften, die die wenig befahrene Landstraße säumten. Die einst blühenden, vitalen Gemeinden waren jetzt vergessen – verdrängt von Städten, die ihnen sämtliche Macht und Energie entzogen. Das Überleben dieser winzigen Orte mit Namen, die man sich nicht merken musste, und ein paar hundert Einwohnern hing vom Güterverkehr ab, aber sie kamen kaum in dessen Genuss. Auf Schaufenstern standen die Namen der Ladenbesitzer. Keine landesweiten Ketten. Es gab nicht genug Verbraucher für eine Niederlassung.
    Die kurvenreiche Straße vor Josh wurde gerade und zog sich über das Land wie eine Asphaltbahn.
    Von der größten Anhöhe verlief sie zum Sacramento River hinab, der rund zwei Meilen entfernt lag. Auf dem Gefälle kam der Ford in Fahrt, und Josh warf einen Blick in den Rückspiegel. Er entdeckte einen schwarzen Geländewagen. Das Fahrzeug beschleunigte sogar noch mehr als Josh. Schon bald war es dicht hinter ihm. Er schaute auf seinen Tacho. Die Nadel ging ruckweise auf die Siebzig-Meilen-Markierung zu.
    »Da hat’s jemand noch eiliger als ich«, murmelte er.
    Während der nächsten Viertelmeile beobachtete Josh, wie der Offroader immer dichter auffuhr, bis sein großer verchromter Kühlergrill den Rückspiegel ausfüllte. Anstatt zu überholen, klebte er an der Stoßstange des Ford Contour.
    »Überhol doch, verdammt!«, rief Josh dem Drängler zu, und wie als Antwort darauf scherte das schwarze Fahrzeug hinter ihm auf die linke Spur aus. Beide Wagen rasten nebeneinander auf die stählerne Brücke, die über den Sacramento führte, zu, als wäre es eine Zielgerade. Die dicken Reifen des Geländefahrzeugs sangen auf
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