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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo
Autoren: Bettina Szrama
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Die Hinrichtung
    Edle, GroßEhr und Tugendreiche Frau
Mutter,
    meine hochgeehrte frau Schwägerin.
    Von hießigem Process ist dieses zu
berichten, dass vorgestern der eine geraume Zeit in hafft gesessene
Schulmeister iustificiert worden.
    Er wurde vffm marckt auff einen wagen
gesezt, einmahl mit gluenden Zangen, vnd nachgehends
vnterwegs noch zweymahl gerissen, furm Thor endhauptet, vnd
vffs feuer geschmissen vnd verbrant. Er stelte sich sehr geherzt
zum tode an, vnd hatt mann ihn nicht einmahl schreyen hohren (…)
    Lembgo, den 28. Septembris Ao. etc.
1654
    Meiner hochgeehrten Frau Mutter,
Dienstergebener vnd allzeit bereitwilliger Diener, Jacob Heinrich
Zutterig
    Laut erklangen die Glocken von St. Nikolai, als die
ersten Schaulustigen zum Marktplatz stürmten, um sich die besten Plätze zu
sichern. Die Menschen waren das gewöhnt, denn in Lemgo läuteten häufig die
Glocken. Entweder war gerade wieder einmal ein Ratswechsel angesagt, oder der
hohe Herr Bürgermeister und Blutrichter Heinrich Kerckmann ließ auf dem
Marktplatz Aufsässige und lästige Verwandte als Hexen und Zauberer hinrichten.
Für diesen Tag, den Samstag vor Pfingsten 1654, hatte sich der Richter etwas
ganz Besonderes ausgedacht, um seine Untertanen Zucht und Ordnung zu lehren.
Denn er, der mächtigste Mann Lemgos, war schon lange in Amt und Würden, viel zu
lange, um nicht zu wissen, dass seine Macht zu Ende ging. Er würde ein Exempel
statuieren müssen, um sich seinen Ruf als christlicher Ritter der – ach so sehr
– im Argen liegenden Welt zu wahren, seinen Ruf als ein Mann der Tat, der weder
Tod noch Teufel fürchtete.
    Vor dem Rathaus
waren die Zimmerleute bereits geschäftig dabei, die Tribüne für das
hochherrschaftliche Gericht zu errichten. Die Menschen auf dem staubigen Platz
gafften sie ungläubig an, als sähen sie das riesige Holzgerüst, von welchem der
Richter nachmittags um vier das längst feststehende Urteil verkünden würde, zum
ersten Mal. Mit offenen Mündern zogen sie die Hüte und Mützen, bevor sie sich
rundherum niederließen. Um sich die Langeweile bis zum Nachmittag zu
vertreiben, hatten sie Stühle, Verpflegung, Bier und ihre Kinder mitgebracht.
Bald steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten: »Hast du es auch gehört,
Nachbar? Es soll die spektakulärste Hinrichtung aller Zeiten werden. Auf dem
Weg zur Sandkuhlen vor dem Ostertore wird Meister David dem vermaledeiten
Schulmeister das Fleisch vom Leibe reißen. So hat es der hohe Richter
angeordnet. Welch ein Leid! Aber er hat es nicht besser verdient, der
Hurensohn. Darf man sich gegen den hohen Rat auflehnen und unseren Kindern,
Gott beschütze sie, anstelle von Recht und Gehorsam das Zaubern lehren? Gott
stehe ihm bei, dem Schulmeister Hermann Beschoren.«
    Als gegen Mittag
die letzten Zuschauer aus allen Himmelsrichtungen zum Marktplatz drängten,
brodelte es bereits wie auf einem Volksfest. Händler und Schmiede hatten ihre
Pferdewagen in den Straßennischen der einzelnen Bauernschaften abgestellt und
ihre Stände aufgebaut. Tücher aus feinstem Leinen in leuchtenden Farben,
seidene Garne und Goldgeschmeide verlockten Hausfrauen zum Kauf. Lustige
Holzpuppen, vom Spaßmacher bis zur brennenden Hexe, erfreuten die Kinderherzen,
während man sich die hungrigen Bäuche füllte und es sich bei Bier und
Gebratenem gut gehen ließ. Bald waren Unzählige zu dem Spektakel
zusammengekommen, weit mehr als zur Prozession der Heiligen Drei Könige. In
Trauben hockten sie auf Mauervorsprüngen und Dächern, hingen in Scharen in den
Bäumen und drängten sich in den Türen der Häuser, begierig, endlich mit einer
besonders grausamen Hinrichtung für ihre Geduld belohnt zu werden.
    Abgeschirmt von
diesem Spektakel, stand im Schutze der düsteren Rathausmauern vor dem hohen
Fenster weit über ihren Köpfen ein einzelner Mann. Seine Schultern waren wie
unter einer schweren Last gebeugt, doch seine Augen über der gebogenen Nase und
dem energischen Kinn verfolgten wachsam das Geschehen auf dem Marktplatz. Der
Blutrichter Heinrich Kerckmann war alt geworden, ein Schatten seiner selbst.
Ein krummer Mensch, der es nicht verwinden konnte, dass er es in all den vielen
Jahren seiner Alleinherrschaft nicht geschafft hatte, die Stadt von ihrem
größten Feind, dem Teufel, zu befreien. Seit ihm sein Ansehen bei Hofe die
Blutgerichtsbarkeit für die Stadt Lemgo eingebracht hatte, jagte er den
Beelzebub unerbittlich und stellte sich ihm mit grausamer Härte entgegen. Alles,
was
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