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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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eine graue Strickjacke, die sie ihrem Bruder Jakob abgenommen hatte. Etwas war mit ihr geschehen. Ihr war ganz heiß und schwindelig, und als ihre Brüder sich mit ihren Mädchen zu ihr gesellten, wäre es ihr lieber gewesen, noch etwas alleine zu sein und das Erlebte ganz für sich zu genießen.
    »Soll ich vielleicht noch etwas zu trinken holen?«, vernahm sie plötzlich von der Seite eine angenehme Männerstimme. »Oder darf ich dich noch einmal zum Tanzen auffordern?« Anna drehte sich unvermittelt um und sah wieder in diese wundervollen blauen Augen. Diesmal ließ sie sich nicht zweimal bitten und bald tanzten und redeten sie, und die Zeit verging im Flug.
    Die Brüder ließen Anna nicht mehr aus den Augen und als die Sonne unterging und es zu dämmern anfing, drängten sie zum Aufbruch. Um neun sollten sie wieder zu Hause sein, so war es mit den Eltern vereinbart. Anna verabschiedete sich mit einem Handschlag von ihrem ausdauernden Tänzer, der ihr versprochen hatte, sie kommenden Sonntag in Bolsterlang zu besuchen. Sie hatte sich bei der Verabschiedung wohl doch zu viel Zeit gelassen, denn plötzlich war es stockfinster und sie stolperten auf dem holprigen Weg nach Hause. Bald war der Mond von schnell aufziehenden Gewitterwolken gänzlich verdeckt, es fing auch schon zu blitzen an und kurze Zeit später krachte der Donner. Das Gewitter kam immer näher und sie schafften es gerade noch, trocken im elterlichen Haus anzukommen, bevor ein kräftiger Platzregen einsetzte. Anna ging sogleich in ihre Kammer. Sie wollte ganz für sich sein und weiter von dem schönen Tag träumen.
    Die Brüder erzählten den Eltern am nächsten Morgen, dass Anna nur mit einem einzigen Burschen getanzt hätte, aber sie wüssten nicht, wer das gewesen sei. Sie wüssten nur, dass er Daniel gerufen werde und von der Breite bei Tiefenbach stamme. Anna vertröstete ihre Eltern auf den nächsten Sonntag, denn da würde sie der junge Unbekannte besuchen.
    Endlich war die Woche vorbei. Am Samstagabend setzte plötzlich heftiger Regen ein und es wurde ziemlich ungemütlich draußen. Anna hatte einen Gugelhupf mit Rosinen für den morgigen Sonntagnachmittag gebacken, der ein bisschen zu dunkel geraten war. Sonntag früh regnete es immer noch wie aus Kübeln, was die ganze Familie aber nicht vom sonntäglichen Kirchgang abhielt. Nach dem Mittagessen sagte der Vater mit einem erleichterten Lächeln zu Anna: »Ich glaube, heute Nachmittag kommt dein Verehrer nicht mehr. Bei diesem Sauwetter von der Breite oben bis Bolsterlang, das ist schon bei schönem Wetter ein weiter Weg!«
    Woher wusste der Vater, dass Daniel auf der Breite wohnte? Hatte er ihr nachspioniert? Um die Stimmung ihrer Tochter etwas aufzuhellen, meinte ihre Mutter beschwichtigend, die Sonne werde sicher nächsten Sonntag wieder scheinen. Aber Anna liefen dicke Tränen über das Gesicht und sie sagte so laut, dass alle es hören konnten: »Wenn einem Mannsbild das bisschen Regen was ausmacht, dann kann er nichts Gescheites sein.« Daraufhin stürmte sie in die Stube und räumte den Kaffeetisch mit dem guten Geschirr ab. Sie hatte heute schon in aller Herrgottsfrüh, als die anderen noch schliefen, den Tisch schön gedeckt und mit einem bunten Wiesenblumenstrauß geschmückt, den sie hinter dem Haus bei strömendem Regen geschwind gepflückt hatte.
    Gerade, als sie dabei war, die Blumen von der Stube in die Küche zu tragen, klopfte es an der Tür. Anna machte mit der Vase in der Hand auf – und der tropfnasse Daniel stand vor ihr. Als sich ihre Blicke für einen kurzen Moment begegneten, spürte sie wieder das angenehme, warme Gefühl in der Magengegend. Wie im Traum gab sie Daniel die Hand zur Begrüßung und war sich sicher, dass er ihr lautes Herzklopfen hören konnte. Das Wasser lief nur so von seinem Hut und er war völlig vom Regen durchweicht. Nachdem Daniel von der ganzen Familie ausreichend bestaunt worden war, ging Annas ältester Bruder mit ihm in die obere Bubenkammer, wo er sich seiner nassen Wäsche entledigen konnte und etwas Frisches zum Anziehen bekam. Die Hose und das Hemd sowie der Kittel waren Daniel viel zu klein. Seine Beine und Arme waren zu lang dafür und sogar die Filzpantoffeln waren zu kurz geraten. Doch all das machte nichts, die geborgte Kleidung war trocken und Daniel wurde es schnell wieder warm.
    Anna hatte mittlerweile in der Küche den Herd neu angefeuert und kochte einen Milchkaffee. Als Daniel in den viel zu kleinen Kleidungsstücken vor ihr
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