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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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gegenüber Worte wie ›dreckige Matz‹ und ›Luder‹ und noch Schlimmeres in den Mund nahm. Agnes war ihrem Mann zwar an Bösartigkeit ebenbürtig, doch sie war geschickter, viel geschickter. Sie ließ mich jede Sekunde, die wir miteinander verbrachten, spüren, dass ich in ihren Augen ein verabscheuungswürdiges Nichts war, nicht mal würdig, Franz die Wäsche zu waschen – und dass aus mir nichts werden konnte, sosehr ich mich auch anstrengen mochte. Im Gegensatz zu ihrem Mann brauchte sie dafür kein ordinäres Wort, doch ihre Gesten, ihre gegen mich gerichteten Spitzen taten mehr weh, als wenn mein Schwager mich einen ›weiblichen Wanderpokal‹ oder gar eine ›Freizeitnutte‹ schimpfte. Ja, selbst solche Begriffe waren schon gefallen!
    In meinen Augen gab es – und das war für mich das Allerschlimmste – jedoch weder einen Anlass noch irgendeine Situation oder eine Erklärung dafür, was zu solchen Vorwürfen geführt haben konnte. Bestimmt tausendmal schon hatte ich mir den Kopf zermartert, worauf sich diese Anschuldigungen gründen sollten, allein, mir war das alles so schleierhaft wie Franz’ Verhalten, mich vor die Wahl zwischen Durchhalten oder Trennung zu stellen. Wollte er mir tatsächlich nur die Alternative lassen zwischen weiteren haltlosen Demütigungen – dafür aber mit ihm an meiner Seite – oder dem Ende dieses Psychokrieges – dies jedoch dann leider ohne ihn? Franz’ Worte wiesen keinen Ausweg aus dem Dilemma, sie machten nur alles noch viel unerträglicher, und bei diesem Gedanken kamen mir wieder die Tränen. Dabei hatte ich doch schon den ganzen Tag nichts anderes getan als geheult. Ich war das Nichts, ich war die Versagerin, für die man mich hielt. Nicht einmal fähig, einen Ausweg zu erkennen, nicht einmal fähig, für mich und für die, die ich liebte, um Hilfe zu bitten. Aber wen hätte ich auch bitten sollen? Die Worte desjenigen, der mir auf immer seine Hilfe und sein Herz versprochen hatte, dröhnten in meinem Kopf, während ich mich im Bett schlaflos von einer Seite auf die andere wälzte und keine Antwort fand.
    »Ich kann und ich mag nicht mehr!«
    Ganz leise schlüpfte ich unter der Bettdecke hervor und huschte zum Schlafzimmer hinaus. Ich ging barfuß ins Bad, machte Licht und erschrak zutiefst über mein entstelltes Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte. Weiße, auf gedunsene Wangen und blutrot unterlaufene Augen starrten traurig ins Leere. Schnell wandte ich mich ab und bediente mich gedankenverloren von dem Stapel achtlos auf dem Hocker abgelegter Kleidungsstücke, dann löschte ich wieder das Licht und schloss die Badezimmertür leise hinter mir. Wie in Trance schlich ich die Treppe hinunter, nur kein Geräusch machen, das war das Einzige, woran ich denken konnte. Ohne Licht zu machen, ertastete ich meinen Weg bis zum Windfang, zog Winterschuhe und Anorak an. Schließlich nahm ich noch meine Skihandschuhe von der Ablage und setzte die Wollmütze auf. Dann öffnete ich ganz vorsichtig die Haustür und schloss sie ebenso vorsichtig wieder hinter mir.
    Draußen war es bitterkalt, der Wind fuhr in kurzen Stößen über Hausdächer und Bäume hinweg. Es hatte frisch geschneit. Welch ein Glück, denn so würde das Knacken meiner Schritte auf dem Windharsch vom Neuschnee verschluckt werden. Niemand würde mich hören können, während ich mich von unserem Haus fortbewegte. Ich schlug den Weg durch den Pfannenstiel in Richtung Illerdamm ein. Mir war unendlich kalt. Nicht von außen, die Kälte kam tief aus meinem Inneren, und es war auch nicht der eisige Wind, der mir bei jedem Schritt die Tränen in die Augen trieb. Wie überlauter Glockenlärm hallte es ohne Unterlass in meinem Kopf: »Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr!«
    Kurze Strecken meines Weges rannte ich, um schneller vo ranzukommen. Immer wieder drehte ich mich um, sah nach, ob mir auch niemand folgte. Ich wollte nur weg von zu Hause, je weiter weg, desto besser. Diese Heuchelei in meiner Familie nahm mir die Luft zum Atmen, daheim hatte ich nur noch das Gefühl, verachtet und nicht verstanden zu werden. Ich war wütend und traurig zugleich. Wild entschlossen lief ich weiter durch die sternenklare Winterlandschaft. Der frisch gefallene Pulverschnee lag knietief auf meinem Weg durch den Wald hinauf zum Hüttenberger Eck. In der hellen Vollmondnacht zeichneten sich die Umrisse der Bäume mit ihren vom Schnee gebeugten Ästen deutlich ab. Der Weg ging stetig bergan, mit jedem Schritt sank ich
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