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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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haben.
    »Ich kann selber auf mich aufpassen«, hatte sie dem Vater trotzig entgegengehalten. Doch es hatte nichts geholfen.
    »Entweder so oder gar nicht«, hatte der Vater bestimmt erwidert, und da Anna wusste, dass sie ihn nicht würde umstimmen können, gab sie schließlich nach.
    Also machten sich die drei jungen Leute zusammen auf den Weg. Dieser führte sie von Bolsterlang über das Tiefenberger Moor nach Schweineberg und dann auf die Anhöhe unter dem Lindenbaum. Schon von ferne konnten sie auf dem Hügel die vielen Leute als kleine schwarze Punkte ausmachen, und auch die Musik war weit über das Tal zu hören. Anna hob vorsichtig ihren langen Rock mit der Schürze hoch, damit ihr neues Dirndl nicht schmutzig wurde. Ihre Brüder lächelten sich verschwörerisch an, denn sie hatten sich dort mit ihren Mädchen verabredet, von denen die Eltern nichts wissen durften.
    Als Anna mit ihren Brüdern eintraf, waren einige junge Männer schon dabei, ihre Partnerinnen beim Tanz nach allen Regeln der Kunst durch die Luft zu wirbeln. Dabei fiel Anna sogleich ein großer, breitschultriger junger Mann mit dunkelbraunem Lockenkopf auf, der den anderen in der Abfolge der Tanzfiguren immer wieder wortlos Anweisungen gab, wie sie sich den Bräuchen des Maitanzes gemäß zu drehen und den Tanzboden einmal in einer parallelen Linie, das andere Mal in einer Diagonalen zu durchmessen hatten. Dann spielten die Bläser einen Tusch, es wurde mucksmäuschenstill und die Besucher suchten sich alle einen Platz, von dem aus die Mitte des Tanzbodens leicht einzusehen war. Der gut aussehende junge Mann und seine Partnerin gaben eine Soloeinlage ihres tänzerischen Könnens. Von den Zuschauern kamen laute Jubel- und Anfeuerungsrufe und am Schluss des Tanzes anhaltender Applaus. Der schneidige Bursche wurde sogleich von einer Schar junger Leute umgeben und als Held gefeiert. Anna hörte, wie einige Mädchen neben ihr tuschelten.
    »Das ist doch der Gundler von der Breite oben«, sagte ein etwas übergewichtiges Mädchen, worauf ihre Freundin schnippisch hinzufügte: »Der war doch im letzten Jahr wegen Wilddieberei mit seinem Bruder im Bau.« Da mischte sich ein junger Mann in das Gespräch. »Der Daniel hat nicht für sich gewildert, um reich zu werden, sondern dafür, dass die Ärmsten unter den Armen auch einmal genug zum Essen für ihre Kinder auf den Tisch bekommen.«
    Die Musik spielte weiter und Daniel tanzte ohne Unterlass mit verschiedenen Mädchen und hatte sichtlich Spaß daran. Anna stand im Schatten einer Wirtsbude und war überwältigt von der Aussicht, die man von hier oben hatte. Vor ihr erstreckten sich satte grüne Wiesen, übersät mit bunten Frühlingsblumen, und dahinter war die Kulisse der Oberstdorfer Berge auszumachen, die selbst im Mai noch ganz weiß vom Schnee des letzten Winters waren, als hätte jemand Puder zucker über ihre Gipfel gestreut. Lange stand Anna tief in die Schönheit dieses Anblicks versunken da, während ihre Brüder losgezogen waren, sich etwas zu trinken zu holen. Da kam mit einem Mal Daniel Gundler, gefolgt von einigen jungen Männern, auf die Wirtsbude zu, um sich mit den anderen nach den anstrengenden Tänzen eine Maß zu genehmigen. Als er einige Züge getrunken hatte, reichte er den Maßkrug weiter und blickte unverwandt auf Anna, wobei er mit dem Handrücken Schaum von seiner Oberlippe wischte.
    Anna spürte einen Blick auf sich ruhen und als sie sich umwandte, sah sie in zwei tiefblaue Augen, Augen, die das Blau des Himmels widerzuspiegeln schienen. Sie spürte, wie eine leichte Röte ihr Gesicht überzog. Verlegen blickte sie zu Boden, drehte sich wieder um und wollte in die andere Richtung davoneilen. Da hielt sie eine kräftige Männerhand am Oberarm fest. Sie blieb stehen und schaute dem jungen Mann schüchtern ins Gesicht, der sie lachend zum Tanzen aufforderte. Obwohl Anna nicht gerade von kleinem Wuchs war, kam sie sich neben diesem stattlichen jungen Mann zum ersten Mal in ihrem Leben klein vor. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie konnte ihm zunächst nicht unbefangen antworten, auch merkte sie jetzt die neidischen Blicke anderer junger Mädchen, die sich um die Tanzfläche versammelt hatten.
    Die Musiker machten eine kleine Pause, um bei dem warmen Wetter ihren Durst zu stillen. Da wurde Daniel auch schon wieder von anderen jungen Leuten vereinnahmt, bevor sie ihm eine Antwort hätte geben können. Anna ging ein Stück von dem Trubel weg und setzte sich mit weichen Knien auf
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