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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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noch Luft. Franz schlug die Autotür zu und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Hofeinfahrt. Ich weinte still vor mich hin, und wir redeten kein Wort miteinander. Uns hatte es beiden die Sprache verschlagen.
    Irgendwann durchbrach ich die Stille. »Ich musste doch unsere Kinder verteidigen«, sagte ich weinend zu Franz. »Was nimmt sie sich eigentlich heraus? Wie groß muss ihr Hass sein – und warum hat sie ihn nur? Kannst du mir sagen, warum sie mich so verabscheut?«
    Aber Franz zuckte nur wortlos mit den Schultern und steuerte das Auto weiter durch die kalte Winterlandschaft.
    »Den Dreck lassen wir im alten Jahr, hörst du, Julia? Den Ballast ziehen wir nicht weiter in unserem Leben mit. Nur unsere Kinder und wir beide sind wichtig, sonst zählt nichts und niemand mehr.« Wir waren wieder zu Hause angekommen und gingen nebeneinander von der Garage zu unserem Haus. Noch immer weinte ich leise vor mich hin.
    Als wir in den Flur traten und mein Blick auf das alte Familienfoto fiel, das dort hing, musste ich plötzlich wieder an die Geschichte der Berganna denken, die Rosel mir erzählt hatte. Auch die Berganna war bösen Beschimpfungen ausgesetzt gewesen, aber sie hatte sich nicht unterkriegen lassen, sondern hatte sich mit aller Kraft zur Wehr gesetzt. Ich ging ins Schlafzimmer hoch und durchwühlte die Schublade meines Nachtkästchens auf der Suche nach dem blauen Kuvert, das Rosel mir beim Abschied zugesteckt hatte. Dann las ich Franz das schöne Gedicht über die Berganna vor. Er schaute mich erstaunt an.
    »So, und nun fahren wir noch einmal zu Agnes und deinem Bruder«, sagte ich im Brustton tiefster Überzeugung zu meinem Mann. »Ab heute muss Schluss sein mit all den unausgesprochenen Dingen, den Lügen und Verleumdungen in unserer Familie. Ich möchte wissen, was hinter all dem steckt.«
    Franz schien meine Bestimmtheit zu imponieren und auch, dass ich das Heft in die Hand genommen hatte, denn er folgte mir ohne ein Wort zum Auto, und kurze Zeit später standen wir zum zweiten Mal an diesem Tag vor seinem alten Elternhaus.
    »Was wollt ihr denn schon wieder?« Agnes war sichtlich perplex und starrte uns mit großen Augen an.
    »Ich möchte jetzt endlich wissen, was der Anlass für deine Verachtung und die Beleidigungen von Eberhart ist.« Ich stürmte an ihr vorbei ins Wohnzimmer, wo Franz’ Bruder gerade den Fernseher ausschaltete. Ich blickte ihm und Agnes, die mir in den Wohnraum gefolgt war, abwechselnd ins Gesicht. »Also, was werft ihr mir eigentlich vor?«
    »Dass du ein Verhältnis mit Eberhart hattest«, platzte es aus Agnes heraus, »kann ich dir gar nicht zum Vorwurf machen, denn zum einen war das, als wir gerade getrennt lebten, und zum anderen – das habe ich Eberhart damals auch gleich gesagt – kannte ich ja den Ruf deiner Mutter. Und der Apfel fällt bekanntermaßen nicht weit vom Stamm. Dass du dich dann aber, nachdem du bei meinem Mann nicht endgültig landen konntest, sofort an Franz herangemacht hast, zeigt deinen wahren Charakter. Das Allergemeinste ist jedoch, dass du das aus deiner Affäre mit Eberhart entstandene Kind seinem Bruder untergeschoben hast. Und der gutgläubige und total in dich verschossene Franz hat dir ja sowieso alles abgenommen.«
    »Jetzt aber mal halt«, unterbrach ich sie in ihrem Schwall von Vorwürfen. »Ich habe damals noch nicht einmal geflirtet mit deinem Mann, ganz im Gegenteil! Da ich mich vom ersten Augenblick an in Franz verliebt hatte, habe ich jeden einzelnen von Eberharts Annäherungsversuchen im Keim erstickt. Stimmt das etwa nicht, Eberhart? Erzähl deiner Frau doch zum Beispiel von der unschönen Situation vor dem Waschraum, als ich dich sogar mit Gewalt zurückdrängen müsste!«
    Agnes sah Eberhart fragend an, doch dieser wich ihrem Blick aus. Offensichtlich hatte er seiner Frau etwas anderes erzählt.
    »Und was euch schon gar nichts angeht«, fuhr ich fort, »ist das Liebesleben meiner Mutter. Ich weiß, dass böse Stimmen im Ort ihr Affären mit anderen Männern nachsagen, aber erstens ist das nur übles Gerede und zweitens könnt ihr euch gar nicht vorstellen, wie einsam sie ihr ganzes Leben gewesen ist – vor allem nachdem mein Vater gestorben war. Den absoluten Gipfel finde ich aber, mir ein Kind von Eberhart anzudichten, wo es zwischen uns noch nicht einmal zu einem Kuss gekommen ist. Nein, Agnes, hinter deinen haltlosen Vorwürfen und deiner Verachtung steckt etwas ganz anderes. Du bist einfach nur eifersüchtig auf Franz und mich.
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