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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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wollten das Kind und wir wussten, dass unsere Liebe stärker sein würde als das Gerede der Leute und dass es uns egal wäre, was die anderen von uns sagen und denken würden.
    Am nächsten Morgen sagte ich zu meiner Mutter: »Wenn nur die Kinder auf die Welt kämen, die wir Menschen uns ausdrücklich gewünscht haben, dann wäre die Menschheit schon lange ausgestorben – und ich wäre dann ja auch nicht da!«
    Wir beschlossen, Agnes und Eberhart noch nicht einzu weihen. Erst wenn mein Bäuchlein nicht mehr zu übersehen sein würde. Schließlich war der Moment gekommen, und wir sagte es den beiden.
    »Ich habe es schon immer gewusst, dass da nichts Gescheites herauskommt, wenn ihr zwei euch zusammentut«, giftete Eberhart. Er saß kreidebleich am Tisch, mit einer solchen Nachricht hatte er wohl nicht gerechnet. »Franz, was machst du da bloß für einen Blödsinn, lässt dir von so einer ein Kind anhängen. Ich versteh dich nicht mehr.«
    Wir standen wortlos auf und verließen fluchtartig das Haus. Agnes ging uns nach. »Ihr kennt ja den Eberhart. Er spricht, bevor er das Gehirn einschaltet, besonders, wenn ihn etwas so ohne Vorwarnung trifft wie Julias Schwangerschaft. Wir haben ein großes Haus zur Verfügung, wir haben ausreichend Geld, wir sind verheiratet – und warten nun schon eine Ewigkeit auf Nachwuchs. Und bei euch klappt alles auf Anhieb – wo ihr doch noch nicht einmal verheiratet seid und einem Kind gar nichts bieten könnt. Auf jeden Fall solltet ihr heiraten, solange man es noch nicht sieht – ihr könnt euch ja vorstellen, was es sonst für ein Gerede unter den Leuten gibt, und das würde letztendlich auch auf uns zurückfallen.«
    Mir schossen Tränen in die Augen, ich konnte nichts sagen. Mit so einer gemeinen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Jeden Sonntag rannten sie in die Kirche, doch im Herzen hatten sie nichts als Bosheit, Neid und Kälte. Als wir im Auto saßen und ziellos umherfuhren, sagte ich zu Franz, dass ich auf keinen Fall nur heiraten würde, um den Schein zu wahren. »Liebst du mich denn nicht mehr«, fragte Franz mich bestürzt. Ich beruhigte ihn schnell. »Das hat doch damit nichts zu tun.«
    Plötzlich fielen mir die Worte von Tante Lina ein, die sie einmal, als ich noch klein gewesen war, auf der Alpe zu mir gesagt hatte: »Es ist besser, ein uneheliches Kind zu haben und nicht zu heiraten, als wegen eines Kindes zu heiraten und sein Leben lang unglücklich zu sein!« Ihr Ratschlag damals war ganz eindeutig gewesen. »Wenn du einmal erwachsen bist, Julia«, dabei hatte sie mir ernst in die Augen geschaut, »und ein Baby bekommst, dann musst du nicht gleich heiraten.«
    Fünf Monate später bekam ich ein kleines Mädchen, das fast acht Pfund wog. Die Geburt war problemlos, und ich stillte meine Tochter über ein Jahr lang. Nur, weil Franz und ich unser Kind wollten, hatten wir uns entschieden, es zu bekommen. Wir haben uns einfach vom Leben an der Hand nehmen lassen und uns keine Gedanken über das Morgen gemacht.
    Unsere Tochter Susanne war viereinhalb, als wir heirateten. Agnes wurde richtig böse, als sie erfuhr, dass wir uns nach so langer Zeit in wilder Ehe nun freiwillig für das ganze Leben binden wollten. Sie und Eberhart hatten noch immer keine Kinder, Agnes’ Putz- und Kirchenfimmel wurde immer schlimmer, und Eberharts Unzufriedenheit in dieser Ehe war schon lange nicht mehr zu übersehen: Er war zu einem Eigenbrötler und Menschenhasser geworden. Wir sahen die beiden immer seltener, worunter Franz sehr litt, schließlich war Eberhart alles an Familie, was er außer Susanne und mir hatte.
    Es wurde eine Hochzeit, wie ich sie mir immer gewünscht hatte, trotz des schwierigen Verhältnisses zu Eberhart und Agnes. Wir luden unsere Verwandten und Freunde ein und heirateten an einem wunderschönen Tag im Oktober in der Pfarrkirche von Ofterschwang. In der Kirche musizierte eine Stubenmusik aus Oberstdorf, und unsere Tochter trug vor uns die Kerze zum Altar, nach der Trauung streute sie mit ihrer Freundin Blumen.
    Ein halbes Jahr später, an einem windigen und regnerischen Märztag, ging ich mit zwei Einkaufstaschen die kleine Steigung zur Westerhofener Kapelle hinauf, als mir ein Krankenwagen ganz langsam entgegenkam. Eine seltsame Ahnung beschlich mich. Anstatt links abzubiegen und den kürzesten Weg nach Hause einzuschlagen, ging ich zum Haus, in dem meine Eltern wohnten. Davor sah ich das blaue Auto stehen – meine Mutter war also nicht bei der Arbeit! Ich betrat
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