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Der Bastard

Der Bastard

Titel: Der Bastard
Autoren: Roman Rausch
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    Vor vielen Jahren in Afrika
    Die letzte Stunde des Tages war angebrochen.
    Genau elf Stunden hatte die Sonne ihren Halbkreis von Osten nach Westen gezogen. In der verbleibe n den Stunde würde sie in rötlich flimmerndem Licht untergehen.
    Der Mann und die Frau hatten kein Auge für diese Schönheit. Sie saßen beieinander im Gras und blic k ten in die Ferne, ohne etwas zu sehen.
    «Komm mit mir», sagte der Mann.
    Die Frau schüttelte den Kopf. «Ein schwarzes Kind gehört nach Afrika. Es kann woanders nicht glücklich werden.»
    «Die Zeiten haben sich geändert.»
    «Nur scheinbar.»
    Sie saßen im Gras auf der unsichtbaren Linie des Äquators, zwischen Norden und Süden, zwischen Schwarz und Weiß.
    «Wir gehören nicht zusammen», sprach die Frau weiter. «Nicht hier und nicht dort.»
    «Warum?»
    Sie lächelte. «Du liebst nicht mich. Nur das, wofür ich stehe, meine Hautfarbe, meine Wurzeln. Es ist das Neue, Fremde, was dich reizt.»
    Er wollte widersprechen, doch sie unterbrach ihn. «D u w eißt nicht, wohin du gehörst. Dein Herz und dein Verstand gehen unterschiedliche Wege.»
    Er nickte und nahm ihre Hand. Sein Zeigefinger folgte den Linien auf ihrer hellen Handfläche. «Wie wirst du deiner Familie das Kind erklären?»
    «Ich werde nach Nairobi gehen. In der Stadt stellt niemand Fragen.» Sie entzog ihm die Hand. «Ich will nicht, dass jemand von dem Kind erfährt.»
    Er nickte.
    «Versprich es mir.»
    «Ich verspreche es.»
    Sie griff in die Tasche ihres Kleides und holte eine kleine geschnitzte Figur hervor. Sie reichte sie ihm.
    «Das habe ich von einem Medizinmann der Massai. Ich wünsche dir Glück. Und dass du eines Tages erkennst, dass dein Herz klüger ist als dein Verstand.»
    Sie saßen schweigend nebeneinander, bis das Rot der Sonne verschwunden war. Dann standen sie auf und gingen ins Haus. Nach wenigen Minuten war die Dunkelheit undurchdringlich.
    Die Tiere übernahmen ihr Reich. Zikaden zirpten, Hyänen heulten, Paviane keiften. Die Menschen wichen zurück in den Schutz der Häuser.
    Die erste Stunde der Nacht hatte begonnen.

Würzburg
Erster Tag des Afrika-Festivals
     
    1
    Er ist der, den sie fürchten.
    Sie wissen nichts von seiner Existenz. Wüssten sie es, wäre er an keinem Ort mehr sicher. Ihr Hass ü berwindet Tausende Kilometer, ohne an Kraft zu verlieren.
    Seine Mutter hat das nicht gewusst.
    Nun ist er unter ihnen. Sie erkennen ihn nicht. Er ist nur einer von vielen anderen Schwarzen, Mula t ten und Arabern in diesem Zelt.
    Er ist einer mit schwarzer Haut, krausem Haar und einem weißen Herzen. Sie sehen die Wahrheit nicht, obwohl in ihren Adern das gleiche Blut fließt.
    Eine blutige Spur zieht sich durch ihr gemeins a mes Schicksal. Es ist eine Verbindung, die niemals hätte stattfinden dürfen.
    Doch das hat er nicht zu verantworten, er ist nur ein Junge. Ein besonderer, denn er trägt beide Seiten in sich. Das macht ihn zu einem Unfall, einer Trag ö die, einer Grenzüberschreitung – in jedem Fall zu einem Desaster.
    Seine Großmutter hatte ihn gewarnt, sich niemals mit der zweiten Seite in ihm, der weißen, einzula s sen. Dadurch würde er das Schicksal herausfordern. Er versteht, dass aus ihrem Mund die Fürsorge spricht. Denn sie kennt die Kraft in ihm, die zur a n deren Seite drängt. Er will Gewissheit.
    Blood makes noise.
    Dem Lärm des Blutes kann man nicht entkommen. Auch er nicht, der gerade dabei ist, die Grenze vom Kind zum Mann zu überschreiten. Gewissheit und Klarheit sind die beiden Tugenden, die er als Mann zuerst erlangen will. Das lärmende Pumpen seines Blutes, das ihn seit früher Kindheit begleitet, wird er in dieser Nacht zum Schweigen bringen.
    Er musste seine Großmutter belügen, zum ersten Mal in seinem Leben, damit er für sein Vorhaben freie Bahn hatte. Bei seinem Vater würde er die Nacht verbringen, sagte er ihr, und dass sie sich ke i ne Sorgen um ihn machen bräuchte.
    Mit dem Bild in der Hand wartet er am Zeltei n gang, in dem eine feierliche Ehrung stattfindet. U m ringt von alten Männern in afrikanischer Stamme s kleidung steht ein noch älter wirkender Mann. Er kennt seinen Namen. Er hat ihn bei einem Gespräch zwischen Großmutter und seinem Vater herausgehört. Für seine Verdienste um die afrikanische Ku l tur bekommt der alte Mann Geschenke – einen Speer für die Löwenjagd, e i nen Schild aus dem Fell eines Leoparden und eine Maske aus Gnuleder, um böse Geister fernzuhalten.
    Er vergleicht das Gesicht des Mannes mit dem auf
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