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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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verändert habe«, erwiderte sie. »Ich habe abgenommen, über zehn Kilo, ich bin geschminkt und ich trage keine Tracht, sondern ein modernes Kleid. Aber ich habe ja auch nicht die lange Zugfahrt bis Leverkusen auf mich genommen, damit du alles wieder so vorfindest, wie du es verlassen hast.«
    Beim Abendessen saß Annas kleine Familie endlich wieder komplett um den Tisch, aber keiner traute sich, Fragen zu stellen, oder gar, den Vater zur Rede zu stellen. Erst einmal waren alle froh, dass er wieder bei ihnen war und dass ihre Mutter sich beruhigt zu haben schien. Am Sonntag gingen sie zusammen in die Kirche. Anna wollte, dass alle sehen konnten, dass ihr Mann zurückgekehrt war, denn Gerüchte hatten sich wie ein Lauffeuer im ganzen Dorf verbreitet, er hätte sie verlassen. Dabei hatte er doch nur eine Zeit lang auswärts gearbeitet – so wollte es Anna zumindest aussehen lassen.
    Da Erich bei dem übereilten Aufbruch all seine Habse ligkeiten in Leverkusen zurückgelassen hatte, kleidete Anna ihren Mann komplett neu ein. Sie hatte sich deswegen von einem ihrer Brüder Geld leihen müssen, aber Erich war ihr alle Schulden der Welt wert. Hauptsache, er war wieder bei ihr. Sogar einen Wintermantel und zwei Paar Schuhe packte sie noch obendrauf, obwohl sie das im Geschäft anschreiben lassen musste, denn das geliehene Geld war längst aufgebraucht. Vier riesige Einkaufstüten schleppten sie von Sonthofen nach Westerhofen, Anna war glücklich wie seit langem nicht mehr.
    Erich hatte sie viel Geld gekostet. Egal, die Welt war wieder in Ordnung! Sie hatte ihm immer alles gegeben, das würde sich auch nie ändern. Auf der Suche nach Liebe hatte sie stets ihre Bedürfnisse ganz hintenan stellen müssen, damit sie etwas erreichte. Was anfangs wie ein Verlust aussah, war in ihrem Leben doch oft zu einem Gewinn geworden, den sie selbst nicht erwartet hatte. So war es bei ihrem Vater gewesen und seiner Ablehnung ihr gegenüber, so war es bei ihrem Sohn Engelbert, der ihr zuerst genommen und dann wieder geschenkt wurde, das Gleiche bei Heinz, den sie aus schierer Not zu den Bechtelers hatte geben müssen und der nun ihre größte Stütze geworden war. Und jetzt Erich – er war zu ihr zurückgekehrt, wollte nun bei ihr bleiben. Der Seitensprung, das war eine Episode, ein unüberlegtes Abenteuer. Die Rotblonde war nur ein Trabant im Gegensatz zu ihr. Sie war die Sonne, um die Erich wie ein Planet kreiste. Und die Sonne fragte ja auch nicht, wem sie ihr Licht und ihre Wärme spendete.
    Eine Woche später stand sie am Küchentisch und bügelte gut gelaunt das frisch gewaschene Lieblingskleid mit den grünen und weißen Streifen, das sie in Leverkusen getragen hatte. Gleich würde sie mit dem Bügeln fertig sein, es fehlten nur noch das Hemd und die Hose, in denen Erich die Rückreise angetreten hatte. Im Radio spielten sie einen dieser neuen Schlager, die einem Italien so schmackhaft machten, auch Anna hatte schon darüber nachgedacht, einmal mit Erich dort hinzufahren. Doch wie immer bremste sie sich sofort bei ihren Träumereien, denn das Geld dafür hatten sie momentan sowieso nicht, Erich war ja seit seiner Rückkehr wieder arbeitslos. Sie trug die gebügelte Wäsche ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank, um alles zu verstauen.
    Seltsam, Erichs Seite wirkte irgendwie leerer als gestern. Sie hängte ihr Kleid an die Stange und wollte gerade seine Sachen einordnen, da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen – alle neuen Kleidungsstücke, auch Mantel und Schuhe, die sie ihm vor einer Woche gekauft hatte, fehlten. Ein furcht barer Verdacht stieg in ihr hoch. Sie eilte in jedes Zimmer und schaute nach Erich, sie durchsuchte das ganze Haus, die Scheune und den Stall nach ihm. Dann rannte sie nach draußen, rief seinen Namen, lief in die Nachbarschaft und suchte dort weiter. Niemand hatte ihren Mann gesehen.
    Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Sie setzte sich auf ihr Fahrrad und fuhr, so schnell sie konnte, zum Bahnhof nach Sonthofen.
    »Der ist vor einigen Minuten hier vorbeigekommen.« Der Mann am Schalter konnte sich gut an den vornehm gekleideten Herrn mit den drei Einkaufstaschen vom Herrenausstatter erinnern. »Beeilen Sie sich, der Zug Richtung Kempten fährt jeden Moment los!«
    So schnell war Anna noch nie in ihrem Leben gerannt. Erich hatte sie von vorne bis hinten betrogen, das stand fest. So, wie vor vielen Jahren Franz. Beide Männer ließen sie allein mit ihrem Kummer zurück und
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