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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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Anna, über alles geliebt haben, das wurde aus seinen wenigen Worten zumindest klar.
    Meine Oma Anna war es auch, die sich die ersten Monate nach meiner Geburt um mich gekümmert hat. Doch dann starb sie ganz plötzlich einen Tag nach dem Geburtstag meines Vaters. Als sie in Westerhofen ihr Elternhaus betrat und die ersten sechs Stufen mit zwei Einkaufstaschen voll bepackt die Treppe zu ihrer kleinen, bescheidenen Wohnung hocheilte, wurde es ihr auf einmal schlecht und schummerig vor den Augen. Sie spürte, wie der Schweiß auf ihre Stirn trat, dann drehte sich alles vor ihr und sie fiel um. Der Doktor kam, und anschließend wurde sie mit einem Krankenwagen ins Sonthofener Krankenhaus gebracht. Die ganze Familie war um ihr Bett versammelt. Sie sah ihre Kinder Engelbert, Erika, Heinz und German und ihre beiden Schwiegertöchter vor sich stehen und weinen, aber sie konnte nicht mehr sprechen. Drei Stunden nach ihrem schweren Schlaganfall starb Anna im Alter von knapp sechzig Jahren.
    Wie schwer hatte Anna es in ihrem Leben gehabt und wie schrecklich muss es gewesen sein, als man ihr den ersten Sohn, den kleinen Engelbert, gleich nach der Geburt weggenommen hat, bloß weil er ein uneheliches Kind gewesen ist! Bei dem Gedanken daran wurde mir ganz schlecht. Auch ich war unehelich geboren worden und hatte selbst ein unehe liches Kind zur Welt gebracht, und obwohl sich bis dahin zwar einiges geändert hatte und dies nicht mehr als solche Schande angesehen wurde, wie zu Zeiten meiner Großmutter, hat man es auch mir damals nicht leicht gemacht.
    Als Franz und ich noch jung verliebt und einmal bei seinem Bruder zu Besuch waren, da schlug sich Eberhart vor Schadenfreude immer wieder auf die Schenkel, als er erfuhr, dass sein Arbeitskollege Groß vater von einem unehelichen Kind wurde. Kurz darauf stellte ich dann mit Schrecken fest, dass meine Tage ausblieben. Zwei Tage später war ich beim Frauenarzt, und der eröffnete mir, dass ich schon in der fünften Schwangerschaftswoche war und tatsächlich ein Baby bekommen würde. Ich war ganz außer mir. Auf der einen Seite freute ich mich, doch wie sollte das alles werden? Franz war noch bei der Bundeswehr und ich war gerade in meinem zweiten Ausbildungsjahr zur Bürokauffrau. Keine abgeschlossene Berufsausbildung, kein Geld, geschweige denn eine Wohnung. Alles, was wir hatten, war unsere Liebe und das kleine Kind, das unter meinem Herzen heranwuchs.
    Am Abend erzählte ich alles meiner Mutter. Sie schimpfte ganz schön drauflos. »Du bist selbst noch ein Kind und willst jetzt schon eines bekommen? Wie stellst du dir das vor? Du kannst es auf keinen Fall zur Welt bringen.« Ich ging in mein Zimmer und heulte mir die Augen aus. Ich wollte das Kind. Es war ein Zeichen unserer Liebe.
    Am folgenden Abend kam meine Mutter mit der Adresse einer Arbeitskollegin nach Hause, deren Tochter sich vor einigen Wochen zu einer Abtreibung entschlossen hatte. Ich war schockiert, wusste meine Mutter eigentlich, was sie da von mir verlangte? Sie schlug vor, ich solle Franz am kommenden Wochenende keinesfalls sagen, dass ich schwanger war, und wenn er dann die Woche darauf wiederkommen würde, dann hätte ich bereits alles hinter mir. »Du kannst doch später noch viele Kinder haben. Zuerst machst du einmal deine Lehre fertig. Dann verdienst du richtig Geld und sparst, und wenn ihr dann verheiratet seid und eine Wohnung habt, dann können die Kinder kommen.«
    Ich fieberte dem kommenden Wochenende entgegen und war entschlossen, Franz gleich am Freitagabend zu sagen, dass ich schwanger war. Zuerst schaute er mich ungläubig an, dann meinte er kopfschüttelnd zu mir: »Und was machen wir jetzt?«
    Ich weinte und sagte ihm, dass ich auf keinen Fall eine Abtreibung machen lassen, sondern das Kind auf jeden Fall bekommen wolle.
    »Wir haben keine Wohnung, und ich muss noch sieben Monate zum Bund. Das Haus meiner Eltern beansprucht mein Bruder für sich, das weißt du ja. Von ihm ist also nichts zu erwarten. Er gönnt nur sich selber was, Geben ist nicht gerade seine Stärke.«
    Am Freitagabend tauchten wir dann bei meinen Eltern auf. Mein Vater fiel aus allen Wolken, als er hörte, dass ich schwanger war. Er redete in den ersten Schwangerschaftsmonaten nur das Nötigste mit mir, doch als mein Bäuchlein zu wachsen anfing, hatte er sich mit der neuen Situation abgefunden und freute sich auf sein Enkelkind. Meine Mutter machte eine riesige Szene und sprach vom Gerede der Leute und der Schande. Franz und ich
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