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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Grytten
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Der Polizist fragt, wohin ich will. Nach Schweden, antworte ich. Schnaps und Wurst?, sagt er und amüsiert sich über seinen Witz. Sein Gesicht ist von der Kälte weiß. Schneeflocken hängen an seinen Augenbrauen und an der Uniform. Er sagt, wegen eines Unfalls gebe es eine Umleitung über Eidsvåg. Drei Autos seien auf der glatten Fahrbahn zusammengestoßen. Wäre schon traurig, wenn hier für mich Endstation wäre, wenn ich nicht weiterkäme als ein paar hundert Meter in die Welt hinaus. Wenn er wüsste, der Polizist. Er hätte fragen können, was ich in meinem Koffer habe, und ich hätte wahrheitsgemäß geantwortet: ein Fotoalbum . Das hätte ihn sicherlich gewundert, aber um zu tieferer Erkenntnis zu gelangen, wären mehr Informationen nötig gewesen. So ist es, Informationen sind lebenswichtig. Man muss mehr wissen, alles wissen, muss alle verfügbaren Informationen in sich aufnehmen, und von all diesen Informationen kann man sein Handeln abhängig machen. Hätte mich der Polizist beispielsweise gebeten, das Handschuhfach aufzumachen, hätte er die Pistole gesehen. Dann hätte er mehr Informationen gehabt, vielleicht nicht genug, aber ausreichend, um fortzufahren. Erst dann hätte ich ihm zu guter Polizeiarbeit gratulieren können. Ausgezeichneter Job, junger Mann, Kompliment. Der Polizist sagt, bei dem Wetter würde er so eine weite Fahrt nicht auf sich nehmen. Ich danke ihm für seine Anteilnahme. Er hat natürlich recht. Den ganzen Tag über habe ich den Wetterbericht gehört und gedacht, jetzt klart es auf, aber es hat einfach immer weitergeschneit.
    Ich will einen Mann entführen, sage ich. Er lächelt. Einen Schweden?, fragt er. Ja, das ist der Plan, sage ich. Dann verstehe ich, dass Sie es eilig haben. Der Polizist tut so, als wäre das Ganze ein Scherz zwischen uns beiden. Ich sage nichts. Haben Sie eine Waffe?, fragt er. Ja, antworte ich. In diesem Koffer? Nein, im Koffer liegt mein Fotoalbum. Na klar, sagt er. Der Polizist lacht. Er sieht nur einen alten Mann mit Brille und Hut, einen Mann mit einem Koffer auf dem Beifahrersitz. Wer ist der Auserwählte?, will er wissen. Der Auserwählte?, frage ich. Ja, wer ist das Opfer? Ingvar Kamprad, antworte ich. Der IKEA-Chef? Ich nicke. Hat man Ihnen die falschen Schrauben mitgegeben? Er wünscht mir Glück und winkt meinen Saab weiter. Armleuchter. Ich lasse den Motor wieder an, fahre weiter durch den Schnee. Der Polizeiwagen verschwindet aus dem Rückspiegel, das Blaulicht ist weg. Ich habe alle Zeit der Welt, ganz ruhig fahren, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Der Mond kommt hinter den Wolken hervor, löst sich von den schneebedeckten Bergen. Gern hätte ich noch ein wenig gewartet, ich habe mir den Wetterbericht angehört in der Hoffnung, die Passstraßen seien geschlossen, man komme von hier nicht weg. Dabei wurde mir klar, dass ich mir eigentlich eine Entschuldigung wünschte. Um meine hasserfüllten Gedanken ausmustern zu können, das war’s. Entschuldigungen habe ich nie gemocht. Das ist nicht mein Stil. Im Laden habe ich gelernt, dass man sagen muss, was Sache ist. Es ist erst wenige Tage her, da habe ich meinen eigenen Enkel zurechtgewiesen, weil er mich niemals anruft. Er habe versucht, mich anzurufen, hat er geantwortet. Daraufhin sagte ich: Hast du versucht, den Hörer abzunehmen, und deine Arme haben dich im Stich gelassen?
    Das Licht der Straßenlaternen streicht über die Karosserie. Ich fahre an Häusern und Schneemännern vorbei, an zugeschneiten Autos, in Kälte eingepackte Trampoline. Im Radio haben sie gesagt, wir steuerten auf einen Rekordwinter zu. Am Nachmittag musste ich aufs Dach, um Schnee zu schippen. In einem monotonen Singsang habe ich die Schaufel hin und her bewegt. Das Haus ist so gebaut, dass ich, sobald ich mich der Kante näherte, in die erleuchteten Zimmer schauen konnte. Ich sah ein Sofa, einen Tisch, Lampen, einen Fernseher, eine aufgeschlagene Zeitung. Ich stand auf dem Dach meines eigenen Hauses, und alles war mir fremd, als würde ein anderer dort unten wohnen.
    Am Freitag habe ich mich von meinem letzten Jugendfreund verabschiedet. Samuels Sarg war von einer dünnen Schneeschicht bedeckt, als er in die Erde versenkt wurde, die Totengräber mussten erst stundenlang Schnee geschippt haben, bevor sie die Grube ausheben konnten. Dort hinein verschwand Samuel mit seinem steifen Bein, seinen punktierten Lungen und seinem Kopf, der mir immer ein Rätsel bleiben wird. Seit seiner Kindheit hat Samuel putzige Tischuhren
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