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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Grytten
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seit vierzig Jahren verheiratet. Harold M. Lunde, sagte ich, und sie ging wieder zum Portier, der etwas verwirrt hinter dem Tresen wartete. Harold M. Lunde hörte ich Marny sagen, dann buchstabierte sie meinen Namen. H-a-r-o-l-d-M-L-u-n-d-e. Nachts lag ich wach in unserer Suite und hörte das Rauschen der Autos auf der Madison Avenue. Ich lag auf dem Rücken, die Fußspitzen in der Luft, die Augen offen, ohne zu blinzeln, die ganze Nacht. Mein Kopf war ein einziges Durcheinander. Ich wühlte in den Jahren, die hinter uns lagen. Hatte ich Vorfälle übersehen? Gab es andere Anzeichen? War ich selbst im Begriff, gebrechlich zu werden?
    Am nächsten Tag war es überraschend heiß, ein Sonntag mit 85 Grad Fahrenheit, eine Leuchttafel in der Lobby verriet die Temperatur. Ein Indian Summer flammte zwischen den Hochhäusern auf, und Marny wollte nach Coney Island fahren, um sich abzukühlen. Scharen von Menschen hatten dieselbe Idee, und obwohl ich unzählige Bankpausen vorschlug, fanden wir keine freie Bank, auf die wir uns hätten setzen können. Die Sonne blendete, es gab Sand und Meer, reizbare Touristen, Kinder, die in dem schmutzigen Wasser plantschten. Zum Schluss fanden wir eine Bank und blieben sitzen, während wir alle, die vorbeigingen, in Augenschein nahmen, eine Lawine menschlicher Körper. Marny sagte: Dir gefällt New York nur, weil du denkst, dass du all diesen Menschen, die du hier siehst, Möbel verkaufen könntest. Sie habe mich durchschaut, antwortete ich. Sie sagte, ich würde glücklich auf die Hochhäuser starren, weil ich mir vorstellte, dass jedes einzelne Zimmer da oben möbliert werden müsste. Ich sagte, es sei ganz richtig, bei einem solchen Markt wäre unser Laden zu retten gewesen. Marny sagte, sie würde mich jetzt kennen, sie kenne mich in- und auswendig. Aber sie kannte mich nicht gut genug, um mitzukriegen, dass ich große Angst hatte, wie ich dort saß. Ich legte den Arm um ihre Schulter, als wollte ich vermeiden, dass sie mir entglitt. Ich fragte nach dem Vorfall im Hotel, aber Marny lachte nur darüber. Ihr Kopf war einen Moment lang einfach leer gewesen. Das war alles. Ich sollte dem nicht mehr Gewicht beimessen als nötig. Ein einmaliger Ausrutscher. Wie heiße ich?, fragte ich. Sie sah mich an. Wie heiße ich?, fragte ich noch einmal. Harold irgendwas , antwortete sie. Wir lachten. Zwei Jahre später las ich einen Bericht, den ein Student verfasst hatte, ich kann mich nicht an den vollständigen Titel erinnern, weiß aber noch, wie der Student Marny und mich genannt hat. Marny war Casus 2 . Ich war Ehemann 2 in einer Sprache, die für mich keinen Sinn ergab, so wie die Welt zu diesem Zeitpunkt für Marny keinen Sinn mehr ergab. In einem einfachen Test konnte sie zum Beispiel nicht zwischen einem Foto von mir und John F. Kennedy unterscheiden. Ich hätte es als Kompliment nehmen sollen, aber später im Test konnte sie John F. Kennedy und einen Zwergschimpansen nicht mehr auseinanderhalten.

Oh, Marny. Du verschwindest während meiner Fahrt, so wie meine Füße unter mir verschwinden. Meine Füße sind kilometerweit weg, irgendwo am Äquator. Meine Hände verwelken am Steuer, so wie der Sommer verwelkt. Über Haukeli fahren wir in einer Kolonne. Ich sehe die Rücklichter des Wagens vor mir, sonst nichts. Ich fahre gern in einer Kolonne, mag es, meinen Platz zu finden, langsam zu fahren, besonnen. In einer Kolonne sind alle voneinander abhängig, ich bin abhängig von dem Fahrer vor mir, so wie der Fahrer hinter mir abhängig ist von mir. Verlieren wir uns, werden wir rasch in Schnee gehüllt. Schnee von allen Seiten, Schnee, der in einem bitteren, blendenden Tanz durch die Luft wirbelt. Ich rutsche mit dem Saab über die schneebedeckten Ebenen. Mister Åsane. Mister Åsane in Haukeli vermisst . Als wir den Laden dichtmachen mussten, brachte die Bergens Tidende ein Porträt von mir, aufgenommen wenige Monate vor unserer New-York-Reise. Die Journalistin war blond und viel zu hübsch, um Journalistin zu sein. Ich hatte mir Journalisten immer als träge, schlampig gekleidete Männer vorgestellt, Menschen, die in etwa denselben Gebrauchswert hatten wie meine beiden Söhne. Hier kam nun ein hübsches blondes Frauenherz. Sie betonte, dass alles stimmen sollte, da ich wahrscheinlich zum ersten und letzten Mal in einer Zeitung porträtiert würde. Ich hätte ihr ausführlich darlegen können, was wahrscheinlich ist und was nicht, ich hätte ihr beibringen können, dass die Freuden des Sommers
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