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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Grytten
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Stunde, um sich zu orientieren, Kaffee aufzusetzen, am Schreibtisch zu sitzen, Büroarbeit zu erledigen, bevor der Tag richtig anbricht. Auf die Kunden warten, die den Laden füllen sollten, diesen gemischten Chor, der jeden Tag hereinkam, wenn die Türen aufgingen. Jeden Morgen hing die Zeit leicht und luftig über mir. Jeden Tag ging es mit mir aufwärts.
    Die Frau unten an der Rezeption sagt, sie könne mich im Computer nicht finden. Sie behauptet, ich hätte nicht eingecheckt. Es ist dieselbe Frau, die gestern Abend hier war, sie trägt sogar denselben Schal um den Hals. Sie erinnert sich nicht an mich. Das ist ja komisch, sagt sie. Ja, das ist komisch, sage ich. Im Möbelladen habe ich es zu einer Kunst erhoben, mich an meine Kunden zu erinnern, ich prägte mir alle Namen ein und alle Waren, die sie kauften. War jemand einmal bei Möbel-Lunde gewesen, wollte ich ihn mit seinem Namen begrüßen, wenn er das nächste Mal durch die Tür trat: Guten Morgen, Herr Sivertsen, was macht der Wohnzimmertisch, steht er noch auf eigenen Beinen? Eine hervorragende Verkaufsstrategie, unbedingt, die Kunden hatten einen positiven Eindruck von mir und meinem Laden, es war auch eine Frage der Höflichkeit, aber nicht nur. Mich an die Namen meiner Kunden zu erinnern war für mich eine große Freude. Die Frau an der Rezeption schüttelt den Kopf und behauptet, in Zimmer 409 wohne ein Mr. Nicholson. Sind Sie Mr. Nicholson?, fragt sie. Mr. Nicholson?, frage ich. Ja, sind Sie das? Ja, ich bin Mr. Nicholson, sage ich. Sie bittet mich, einen Moment zu warten, dann verschwindet sie durch eine Schwingtür hinter dem Tresen. Ich bleibe stehen, sie kommt nicht zurück. Mir wird klar, dass es für mein Leben keinen Beweis mehr gibt. Der Laden ist geschlossen. Mein ältester Sohn hat mich vergessen. Mein jüngster Sohn ist von uns gegangen. Mein Enkelsohn ruft niemals an. Marny weiß nur noch selten, wer ich bin. So ist es. Ich bin ein kurzes Aufflackern. Ich bin Mr. Nicholson.
    Ohne weiteres Aufhebens nehme ich den Koffer und gehe zu meinem Saab. Ich lasse den Motor an, betrachte Odda durch die Windschutzscheibe. Der Tag hat sich geöffnet, es schneit nach wie vor. Die Flocken sind schön, tausend Blüten auf der Scheibe. Fahren und glucksen, die brausenden Federn ruhen lassen. Fahren und dem Schnee lauschen. Ich bin Mr. Nicholson, fabelhaft. Mr. Nicholson am Steuer. Wie leicht man ein anderer wird. Wie kann ein Mensch ein anderer werden? Wann habe ich es bei Marny begriffen? In New York. Endgültig. An diesen Tagen waren wir wieder eng beisammen, wie ein verliebtes Paar liefen wir durch die Avenuen, liefen durch die frühen Herbstabende. Die Dunkelheit wurde vom Anblick weißer Menschen erhellt, Licht fiel aus den Geschäften und den gelben Taxen, die Türen öffneten sich und spuckten Menschen aus, jedes Etablissement leistete seinen Beitrag. Tagsüber machten wir lange Spaziergänge durch den Central Park. Normalerweise ging Marny schneller als ich. Wenn wir daheim in Åsane spazieren gingen, kam sie immer vor mir an, als wäre ihre natürliche Gangart ein paar Stufen höher eingestellt als meine. Aufgrund ihrer Rastlosigkeit, ihrer Energie bewegte sie sich wie ein junger Hund beim Gassigehen. Durch den Central Park gingen wir jedoch im selben Tempo, sie etwas langsamer als üblich, ich etwas schneller. Es war perfekt. Bankpause?, konnte einer von uns vorschlagen, wenn unsere Füße müde wurden, dann setzten wir uns auf die erstbeste Bank. Dort sprachen wir über alles Mögliche, oder wir saßen schweigend nebeneinander. Marny war ein hervorragendes Reisehandbuch. Auf allen denkbaren Bänken in New York konnte ich in ihr nachschlagen, und sie gab mir Details über die 10th Avenue oder ein Hochhaus, das triumphierend sein oberstes Stockwerk über die Bäume im Park erhob.
    Als wir eines Abends ins Hotel zurückkehrten, ging Marny zur Rezeption, um nach etwas zu fragen. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, aber es hatte mit unseren Pässen zu tun, und Marnys Englisch war besser als meins. Ich setzte mich in einen der tiefen Sessel in der Lobby und wartete. Nach einer Weile winkte Marny mich heran. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, aber eins ist sicher, mit diesen Worten hatte ich nicht gerechnet: Liebster, wie heißt du noch? Marny sah mich entschuldigend an, ich verstand nicht, was sie meinte. Sie wiederholte ihre Frage. Sie lachte und sagte, plötzlich sei mein Name weg gewesen. Ich starrte Marny an, zu dem Zeitpunkt waren wir
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