Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck
Autoren: Jérôme Ferrari
Vom Netzwerk:
Ich erinnere mich an Sie, mon Capitaine, ich erinnere es sehr genau, und noch immer sehe ich sehr deutlich die Nacht der Verwirrung und Verlassenheit über Ihre Augen brechen, als ich Ihnen mitteilte, dass er sich erhängt hatte. Es war ein kalter Frühlingsmorgen, mon Capitaine, es war vor so langer Zeit, und doch, für einen kurzen Augenblick, habe ich den Greis vor mir gesehen, zu dem Sie schließlich geworden sind. Sie hatten mich gefragt, wie es möglich sein konnte, dass wir einen so bedeutsamen Gefangenen wie Tahar ohne Überwachung hätten allein lassen können, mehrmals hatten Sie wiederholt Wie ist dies möglich?, als hätten Sie zwingend verstehen müssen, welcher unschicklichen Nachlässigkeit wir uns schuldig gemacht hatten – nur, was hätte ich Ihnen schon antworten können? Nun, ich bin ruhig geblieben, ich habe Sie angelächelt und Sie haben schließlich verstanden und ich habe die Nacht über Sie einbrechen sehen, Sie sind hinter Ihrem Schreibtisch zusammengesackt, sämtliche Jahre, die Ihnen zu leben noch bevorstanden damals, flossen mit einem Mal durch Ihre Adern, strömten aus Ihrem Herzen und haben Sie überflutet, und plötzlich war da vor mir ein alter Mann im Todeskampf oder vielleicht ein kleines Kind, eine Waise, vergessen am Rande einer langen Wüstenstraße. Sie haben Ihre Augen auf mich gerichtet, Ihre Augen voller Finsternis, und ich habe den kalten Hauch Ihres ohnmächtigen Hasses gespürt, mon Capitaine, Sie haben mir keine Vorwürfe gemacht, Ihre Lippen verkrampften sich, um den bittren Aufstoß an Worten zu unterdrücken, die auszusprechen verboten war, und Ihr Körper zitterte, weil kein einziger Impuls an Auflehnung, derer so viele ihn ins Wanken brachten, zum Ziel gelangen konnte, Naivität und Hoffnung sind keine Entschuldigung, mon Capitaine, und Sie wussten sehr genau, dass Sie ebenso wenig wie ich freigesprochen werden konnten von seinem Tod. Sie haben die Augen niedergeschlagen und gemurmelt, ich erinnere es sehr genau, Sie haben ihn mir genommen, Andreani, Sie haben ihn mir genommen, mit gebrochener Stimme, und ich schämte mich Ihrer, der Sie nicht einmal mehr die Kraft besaßen, die Obszönität Ihres Kummers zu verhehlen. Als Sie sich wieder gefangen hatten, haben Sie ohne ein Wort zu sagen eine Geste der Hand in meine Richtung gemacht, jene Geste, mit der man gewöhnlich Dienstpersonal oder Hunde hinauskomplimentiert, und Sie wurden unruhig, da ich mir Zeit ließ, mich von Ihnen zu verabschieden, Sie haben gesagt Hauen Sie ab, Lieutenant!, aber ich habe meinen Gruß zu Ende gebracht und sorgfältig eine vorschriftsmäßige Halbrunde ausgeführt, bevor ich hinausgegangen bin, denn es gibt wichtigere Dinge als Ihre Seelenzustände. Ich war glücklich, mich auf der Straße wiedergefunden zu haben, ich gestehe es Ihnen, mon Capitaine, und der widerlichen Darbietung Ihrer Martern und Ihrer von vornherein verlorenen Kämpfe gegen sich selbst zu entkommen. Ich habe die klare Luft eingeatmet und gedacht, dass ich vielleicht dem Generalstab dringend empfehlen müsste, Sie all Ihrer Verantwortung zu entheben, dass das meine Aufgabe war, aber schnell habe ich diese Idee wieder verworfen, mon Capitaine, denn keine andere Tugend existiert als die der Loyalität. Und doch, ich war derart glücklich gewesen, Sie wiedergesehen zu haben, wissen Sie, und ich bewahre die Hoffnung bei mir, dass auch Sie, zumindest für einen Augenblick, darüber glücklich gewesen sein mochten. Wir hatten so viele schwierige Stunden gemeinsam überlebt. Aber niemand weiß, welch geheimes Gesetz die Seelen regiert, und schnell war es offensichtlich geworden, dass Sie sich von mir distanziert hatten und wir einander nicht mehr verstehen konnten. Als ich mich einverstanden erklärt hatte, die Führung dieser Spezialtruppe zu übernehmen, und mich mit meinen Männern in der Villa einquartiert hatte, in Saint-Eugène, da wurden Sie offen feindselig, mon Capitaine, ich erinnere mich sehr genau. Ich konnte es mir nicht erklären und war verletzt, heute kann ich es Ihnen sagen, unsere Missionen unterschieden sich nicht so sehr voneinander, als dass Sie dazu autorisiert gewesen wären, mich derartig Ihren Hass und Ihre Verachtung spüren zu lassen, wir waren Soldaten, mon Capitaine, und es fiel uns nicht zu, zu wählen, auf welche Art Krieg zu führen sei, auch ich hätte ihn gern anders geführt, wissen Sie, ich hätte den Aufruhr und das Blut der Kämpfe der furchtbaren Monotonie dieser Jagd nach Informationen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher