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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck
Autoren: Jérôme Ferrari
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Verachtung, aber sie waren die Unsrigen, wie dies auch die Huren waren, ihr Wert zählt nicht und es lag an uns, zu bezeugen, dass sie gelebt hatten. Wir hatten Zeugnis abzulegen, mit Wasser, mit Strom, mit dem Messer, mit aller Macht unseres Mitgefühls. Alles ist so schnell vergessen, mon Capitaine, alles ist so belanglos. Ich bin noch einmal dorthin zurück, wissen Sie, vor einigen Jahren, in einem beinahe leeren Flugzeug. Niemand erinnert sich an uns. Am Flughafen hat der Bulle mein Visum gestempelt und mir einen schönen Aufenthalt gewünscht. Möglich, dass er mich für einen Algerienfranzosen gehalten hat, der krank vor Heimweh noch vor seinem Tod das Haus seiner Kindheit wiedersehen wollte. Aber wahrscheinlich hat er sich keine einzige Frage gestellt. Die Stadt gleicht einer alten, verwahrlosten Dame, die mit ihrem eigenen Dreck verschmolzen und vom trügerischen Schein ihres einstigen Glanzes erdrückt ist. Vor der Milk Bar erhebt Emir el-Kader den Säbel des Sieges und die Straßen tragen die Namen der Terroristen, die wir getötet haben. Aber täuschen Sie sich nicht, mon Capitaine, auch die wurden vergessen, ihre Hagiografie hat sie für immer verschwinden lassen, viel sicherer noch als jedwedes Schweigen es vermocht hätte. Ich bin los, mir ein Zimmer im Saint-George zu nehmen, an den Mauern und Steinkacheln waren Schimmelflecken, aber der Duft von Jasmin tränkte noch immer die Luft des Gartens, wie vor vierzig Jahren, als ich die Stadt verlassen hatte, um einen Whisky in der Wintersonne zu trinken. Ich habe mir ein Taxi genommen und der Fahrer hat mich gefragt, aus welchen Gründen ich hergekommen sei, und ich habe ihn, mon Capitaine, schließlich angelogen, ich habe zu ihm gesagt, dass ich krank vor Heimweh wäre und noch vor meinem Tod das Haus meiner Kindheit wiedersehen wolle. Er hat mir angeboten, mich dorthin zu bringen, und ich habe zu ihm gesagt, dass ich noch Zeit brauche. Er beschwerte sich über die Wasserversorgung und über seinen Job, der ihn dazu nötigte, nachts zu fahren und Gefahr zu laufen, in eine Scheinabsperrung zu geraten, was ihm bereits einmal widerfahren war, er hatte sich sogar die Zunge verbrannt, weil er seine glühende Zigarette verschluckt hatte, Sie sehen, mon Capitaine, die Islamisten mögen keine Raucher, das ist eine Eigenschaft, die sie mit ihren Freunden der FLN gemein haben, dieser widerliche Moralismus, und der Taxifahrer lachte darüber, noch heil davongekommen zu sein. Ich hatte ihn gebeten, mich an der Place des Martyrs abzusetzen und kurz auf mich zu warten. Ich bin an der Mosquée des Juifs vorbei hoch zur Casbah gegangen. Kinder spielten im Müll und Bauschutt, ein Mann hörte in einem dunklen Zimmer Musik und schaukelte dabei vor und zurück, das Gesicht in den Händen, und ich hatte den Eindruck, als könne ich umherwandern, ohne mich in diesem Labyrinth zu verlieren, wie damals, als wir von Dach zu Dach sprangen, es ist so lange her, mon Capitaine, als Tahars Männer sich wie Ratten in den Netzwerken der Brunnen und obskuren Galerien verkrochen und dabei lernten, uns zu fürchten. Und doch bin ich zurückgegangen und habe den Taxifahrer gebeten, eine Stadtrundfahrt zu machen, bevor er mich zum Hotel bringen würde. Wir sind am Meer entlanggefahren, vorbei an Saint-Eugène, ich habe die Villa gesehen, heute dürfte sie einem höheren Offizier gehören, und ich bin mir sicher, dass die Geister, die ich dortgelassen habe, seinen Schlaf nicht stören. Ich habe meine Arbeit gut verrichtet. Wir sind wieder hochgefahren nach El-Biar, wir sind an einem Raum vorbeigefahren, aus dem Hochzeitsmusik drang, und der Taxifahrer hat die Melodie aufgegriffen, ein sehr altes Lied, das Belkacem oft sang, der Harki aus meiner Truppe, ich erinnere mich sehr gut daran, mon Capitaine, Ah, läge meine Seele doch nur in meinen Händen, ein sehr bekanntes Lied, Sie werden es ganz sicherlich gehört haben, ja, auch Sie, Ich liebe Dich, Sara, lass mich in Deinem Herzen fortbestehen, Du bist mein Leben, Sara. Der Taxifahrer sang aus vollem Halse, Ich würde für Dich sterben, Sara, und er schien glücklich darüber zu sein, dass ich mit ihm mitsummte. Verlass mich nicht, Sara. Du hast in meinem Herzen eine Spur gezogen, die nicht vergehen wird. Beim Hotel habe ich ihm tausend Dinar gegeben und zu ihm gesagt, dass ich im Grunde genommen das Haus meiner Kindheit nicht so zwingend wiedersehen wolle. Er hat darauf bestanden, dass ich seine Telefonnummer entgegennehme, für den Fall, dass
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