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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck
Autoren: Jérôme Ferrari
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ebenfalls gerne vorgezogen, aber eine solche Wahl wurde uns nicht geboten. Noch heute frage ich mich, aufgrund welch irriger Meinung Sie sich davon haben überzeugen können, dass Ihre Handlungen besser gewesen wären als meine. Auch Sie haben Informationen gesucht und erhalten und es existiert immer nur eine Methode, an diese zu gelangen, mon Capitaine, Sie wissen es sehr genau, eine einzige, und Sie haben diese angewandt, genau wie ich, und die qualvolle Makellosigkeit dieser Methode konnte in keinem einzigen Fall durch Ihre Skrupel kompensiert werden, nicht durch Ihre lächerliche Art und Weise, elegant zu sein, Ihre Bigotterie oder Ihre Gewissensbisse, die Sie doch nur lächerlich machten und mit Ihnen uns alle. Als mir befohlen wurde, Tahar in Ihrer Kommandozentrale von El-Biar zu übernehmen, habe ich einen kurzen Augenblick lang die Hoffnung gehegt, dass die Freude, einen der Anführer der ALN gefangen genommen zu haben, Sie möglicherweise etwas freundschaftlicher hätte werden lassen, aber Sie hatten das Wort nicht an mich gerichtet, Sie haben Tahar aus seiner Zelle kommen lassen und ihm die Ehren erwiesen, man hat ihn mir zugeführt, an einer Reihe französischer Soldaten vorbei, die ihm mit Waffen salutierten, ihm, diesem Terroristen, diesem Hurensohn, auf Ihren Befehl hin, und ich, mon Capitaine, hatte diese Schmach wortlos zu ertragen. Oh, mon Capitaine, wofür eine solche Komödie, und was nur hatten Sie sich erhofft? Etwa die Anerkennung seitens dieses Mannes, in den Sie so sehr vernarrt gewesen waren, dass sie bei der Verkündung seines Todes in sich zusammengesackt sind? Aber wissen Sie was, er hat gar nicht von Ihnen gesprochen, nicht ein Wort, er hat nicht etwa gesagt, dass der Capitaine Degorce ein bewundernswerter Mann sei, nichts dergleichen, und ich bin überzeugt davon, dass Sie niemals, hören Sie, niemals, mon Capitaine, auch nur den geringsten Raum in seinen Gedanken eingenommen haben. Tahar war ein harter Mann, der Ihre Neigung zur Sentimentalität nicht teilte, es tut mir leid, Ihnen dies zu sagen, mon Capitaine, und ganz im Gegensatz zu Ihnen wusste er sehr wohl, dass er zu sterben hatte, ihm schwebte kein ich weiß nicht was für glücklicher Epilog vor Augen, der auch nur annähernd jenen geglichen hätte, von denen Sie ganz sicher träumten in Ihrer Exaltiertheit und albernen Verblendung, albern und ohne jede Entschuldigung, mon Capitaine, Sie konnten nicht ignorieren, was die Villa von Saint-Eugène bedeutete, die niemand je lebend verlassen hatte, denn eine Villa war sie mitnichten, sie war eine offene Pforte über dem Abgrund, eine Spalte, die das Irdische aufriss und einen ins Nichts kippen ließ – ich habe so viele Männer sterben sehen, mon Capitaine, und sie wussten alle, dass niemand sie je wiedersehen würde, dass niemand ihre Stirn küssen und dabei die Schahāda rezitieren würde, dass keine einzige liebende Hand pietätvoll ihre Körper weder waschen noch segnen würde, bevor man sie der Erde anvertraute, sie hatten niemanden bis auf mich, und ich war ihnen in diesem einen Moment näher, als es ihre eigene Mutter je gewesen, ja, ich war ihre Mutter und ihr Führer und ich führte sie in die Limbi des Vergessens, an die Ufer eines namenlosen Flusses, in eine so absolute Stille, dass Gebete und Heilsversprechungen sie nicht zerstören konnten. In einem gewissen Sinne hatte Tahar Glück, dass Sie ihn der Presse vorgeführt hatten, wir mussten seinen Leichnam zurückgeben, aber wäre es an mir gewesen, mon Capitaine, ich hätte auch ihn in Kalk aufgelöst, ich hätte ihn in den Tiefen der Bucht versenkt, ich hätte ihn in alle vier Winde der Wüste verstreut und ihn aus der Erinnerung gelöscht. Ich hätte dafür gesorgt, dass er niemals existiert hätte. Tahar wusste darum, er wusste, was es heißt, einen Feind zu haben. Sie, mon Capitaine, Sie haben von alldem nie etwas gewusst, nicht mit unserem Mitleid oder unserem Respekt, der ihn nichts angeht, lassen wir unserem Feind Gerechtigkeit widerfahren, sondern mit unserem Hass, unserer Grausamkeit – und mit unserer Freude. Vielleicht erinnern Sie sich an den jungen Seminaristen, den Wehrpflichtigen, den ein schwachsinniger Federfuchser, der keinerlei Begriff von unserer Mission hatte, mir als Sekretär zugespielt hatte, ein Bigotter, gleich Ihnen, mon Capitaine, heimgesucht von einer empfindsamen Seele, einer wirklich empfindsamen allerdings, und so viel argloser und ehrlicher als die Ihre. Als er angekommen war, fühlte er
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