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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck
Autoren: Jérôme Ferrari
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sich erleichtert, da er glaubte, dass er sich die Hände nicht würde schmutzig machen müssen und gewissermaßen vor jeglicher Sünde gefeit gewesen wäre. Er hatte sich mir vorgestellt und ich hätte ihn beinahe zurückgeschickt. Er betrachtete das Meer durch die Fenster der Villa hinweg, die Lorbeerbäume im Garten, und er konnte sich nicht verkneifen, zu lächeln, ich glaube, dass er noch nie so viel Licht und Weite gesehen hatte, er fühlte sich lebendiger, als er es je gewesen sein mochte, befreit von den taufeuchten Morgendämmerungen in Büßerhaltung auf gefrorenen Steinplatten einer obskuren Kapelle, befreit vom beschämenden Geflüster im modrigen Halbschatten des Beichtstuhls, und ich habe ihn behalten, nach allem, es erschien mir nicht angemessen, über Lektionen zu entscheiden, die zu lernen es galt, auf Biegen und Brechen, auch nicht darüber, wer ihnen entkommen könnte, mon Capitaine, denn schließlich hat jeder von uns bis zum Schluss die nämliche ewige und brutale Lektion vernehmen müssen und niemand hatte uns gefragt, ob wir in der Lage wären, uns ihr auszusetzen, also habe ich dem jungen Seminaristen gesagt, dass er während der Befragungen Verdächtiger Notizen zu machen hätte, ich hatte ihm einige Sätze diktiert, seine Handschrift war präzise, nervös und elegant, und ich habe ihn sich einrichten lassen. Er kam zurück, er war aufgewühlt, er hatte zu mir gesagt Mon Lieutenant, das ist unglaublich, ich bitte Sie, im Zimmer sind alle Wände voll von pornografischen Fotos, und er bat mich, sie entfernen zu lassen, er stammelte dabei, ich hatte zu ihm gesagt, dass ich mich um Probleme dieser Art nicht kümmern würde, dass er nur woanders hinzusehen bräuchte, und er ist fort, später aber, da habe ich ihn auf der Bettkante wiedergefunden, neben seiner offenen Tasche, die Augen starr auf die Fotos gerichtet, die Kinnlade nach unten geklappt, er hielt in seinen Händen ein hässliches Kruzifix aus schwarzem Holz und er wirkte so unglaublich verletzlich, mon Capitaine, beinahe so wie Sie, als ich Ihnen mitteilte, dass Tahar sich erhängt hatte, er aber, ich konnte es nachvollziehen, kannte ja nichts als den drohenden Schatten der Jungfrau, verhüllt in ihren langen, blauen Umhang, die reinen Tränen der Maria Magdalena und die himmlischen Verzückungen der Teresa von Ávila, und jetzt konnte er seine Augen einfach nicht mehr abwenden von diesen Frauen, die vor ihm die Beine spreizten, mit ihrem bestialischen Vlies, ihrem glänzenden Geschlecht, aufgeworfen wie durch einen Messerschlitz, und er spürte das Feuer der Hölle das Mark seiner Knochen verzehren, den Körper des Herrn zwischen seinen Fingern, aber nichts konnte ihn dazu bringen, den Blick abzuwenden. Am nächsten Morgen, mon Capitaine, habe ich ihn an seiner ersten Befragung teilnehmen lassen, er hatte sich in eine Ecke des Raums gesetzt, sein Heft auf den Knien, er hatte nichts von sich gegeben, als wir den Araber an die Decke hängten, als hätte er seit seiner Ankunft gar nicht anders können, als seine Augen aufzureißen, zu brennen und zu verstummen, und ich war ihm dankbar, mon Capitaine, dass er so schnell begriff, dass es nichts zu sagen gab. Ich hatte die Elektroden am Ohr und am Glied befestigt. Er hat den nackten Körper sich aufbäumen und spannen sehen und den riesigen Mund, verzerrt von den Schreien, er hat das Wasser rinnen und den Lumpen nass werden sehen auf dem Gesicht des Arabers, dessen wunde Fersen den Boden schrappten und den feuchten Zement mit Blut befleckten. Als wir den durchnässten Lumpen weggezogen hatten und der Araber, nachdem er wie ein Vieh gehechelt hatte, sagte, dass er reden würde, da schaute mein junger Seminarist noch immer und ich hatte ihn daran erinnern müssen, dass er nun Notizen zu machen hätte. Tag für Tag hat er die tödliche Öde der Zeremonie ertragen, deren Anweisungsbefugte wir, Sie, mon Capitaine, und ich, so häufig gewesen sind, die Wiederholung derselben unabänderlichen Anordnung, die uns um die Hässlichkeit der nackten Körper versammelte, und solange er an meiner Seite blieb, hat er sein Pensum klaglos erfüllt. Er hatte Platz für sein Kruzifix geschaffen, an der Wand, zwischen den Fotos, er folgte den Männern in die hochgelegene Casbah, ins Bordell von Si Messaoud, und er akzeptierte es, vollständig verändert zu sein, für immer, er akzeptierte es, der Mann zu sein, zu dem er gegen seinen Willen geworden war, ohne Widerstand, ohne Prahlerei, aber Sie, mon Capitaine,
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