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Flammentod

Flammentod

Titel: Flammentod
Autoren: Oliver Buslau
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Prolog
    Es dämmerte bereits, als sie den Platz erreichte. Eine Kreuzung zweier Wege, die einsam mitten im Wald zu liegen schien. Doch der Autolärm erinnerte beständig daran, daß sich nur wenige Schritte weiter die Hauptstraße befand. Ein unablässiges Rauschen und Dröhnen, aus dem manchmal das Donnern einzelner schwerer Lastwagenmotoren herausragte, hing in der Luft wie eine unsichtbare Masse. Kein Spaziergänger hätte auf den Baumstämmen, die am Wegrand lagen, Rast gemacht. Waldromantik erstickte bei dieser Geräuschkulisse sofort im Keim.
    Doch sie war hier am Ziel. Seit ihrer Kindheit liebte sie diesen Ort; besonders den kleinen Teich, der hinter Büschen versteckt in der Nähe lag.
    Wer kannte schon das Geheimnis, das den kleinen Weiher umgab?
    Sie wußte, was dort vor langer Zeit geschehen war. Und sie wußte auch, daß die Geister an einem solchen Ort nicht ruhten. Sie waren noch immer hier; auch wenn die geheimnisvolle Aura hinter dem Lärm der nahen Straße verborgen war und nur Eingeweihte die besondere Atmosphäre spürten. Und sie war eine Eingeweihte. Vielleicht die letzte Eingeweihte überhaupt. Sie lächelte bei dem Gedanken, daß das Schicksal sie so bevorzugt hatte.
    Sie betrat das weiche Gras seitlich des Weges und folgte dem kaum zu erkennenden Pfad zwischen den Büschen und niedrigen Bäumen. Immer wieder mußte sie über dicke Äste und querliegende Stämme steigen.
    Wenn ein Spaziergänger vorbeigekommen wäre, hätte er sich wahrscheinlich gewundert. Eine elegant gekleidete Dame, die nicht brav den Waldwegen folgte, sondern abseits im Unterholz unterwegs war - was hatte das zu bedeuten?
    Sie blickte sich kurz um. Niemand war zu sehen. So schnell sie in ihren hochhackigen Schuhen konnte, folgte sie weiter dem schmalen Weg, bis die stille grünliche Wasserfläche des Teiches erschien. Wie lange kam sie schon hierher? Solange sie denken konnte.
    Ein großer Stein ragte aus der lehmigen Erde, kaum einen Schritt vom Wasser entfernt. Er war gerade groß genug, daß man darauf Platz nehmen und den Teich überschauen konnte. Schon als Kind hatte sie hier stundenlang gesessen und auf die Oberfläche gestarrt, auf die die Bäume ihre Schatten warfen.
    Hier unten im Gebüsch war der Lärm der Straße kaum noch zu hören. Eine Weile betrachtete sie das von Schatten, Blättern und spiegelndem Himmel gemusterte Wasser. Dann schloß sie die Augen. Und wie so oft, wie so viele hundert Male zuvor, nahm sie Kontakt auf.
    Nach und nach verschwand der letzte Rest des fernen Rauschens, die Bilder in ihrem Kopf veränderten sich. Wie im Zeitraffer wurde der Wald dichter, wilder. In Sekundenschnelle füllten sich die ordentlichen Wege mit wuchernden Sträuchern, bis nur noch ein handbreiter Pfad hindurchführte. Und es wurde kälter. Viel kälter.
    Sie fröstelte, als sie sah, wie ihr Atem kleine Wölkchen in die Luft schlug. Zwischen den Bäumen lagen schmutzigweiße Schneehaufen, unterbrochen von blanker Erde, abgefallenen Ästen und nassem Laub. Kein Laut war zu hören. Selbst die Krähen, die zu dieser Jahreszeit zu Hunderten über die nahen Felder herfielen, kamen nicht hierher. Und sie wußte genau, warum. Der Ort war verrufen.
    Plötzlich drang der Frost des Januars mit aller Macht tief in ihr Innerstes vor. Unendliche Trauer erfaßte sie, und sie konnte nichts dagegen tun. Es hatte keinen Sinn, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Im Gegenteil: In all den Jahren hatte sie gelernt, die Trauer dieses Tages zu genießen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Und so schrecklich das Ereignis war, das sie bald erleben würde, so stolz war sie, dabei sein zu dürfen.
    Noch immer war es still im tiefen Wald. Unendlich lange schien sie reglos hier auf dem Stein an dem kleinen Teich zu sitzen und zu warten. Zu warten, bis das Ereignis wieder lebendig wurde.
    Und dann begann es. Ein feines Beben in der Luft war das erste, was sie spürte. Sie lauschte angestrengt. Das ferne Geräusch kam von den Häusern her, die weiter nordöstlich auf einem Hügel lagen. Ferne Rufe waren es, dazu ein dunkles Pochen, wohl von einer Trommel.
    Da waren Menschen unterwegs. Viele Menschen; eine Prozession. Und sie kamen näher. Bald konnte sie einzelne Stimmen unterscheiden. Man skandierte etwas, und die Trommel schlug mit ihrer bedrohlichen Klangfarbe den Takt dazu.
    Wieder lächelte sie, dann wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. Es würde nicht mehr lange dauern. Ihr Herz schlug wild vor angespannter Erwartung. All diese Menschen
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