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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel
Autoren: Ramona Ziegler
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sofort das Fenster auf, damit die Seele hinausschweben konnte. Den Sarg hat sie besonders groß kaufen müssen, damit man den Deckel trotz der angewinkelten Beine schließen konnte.
    Die Bindung zu ihm war durch die Pflege so stark geworden, dass ich anfangs mehrmals am Tag an sein Grab ging. Auf dem Grabstein stand ›Anna Kiesow‹ – und nun auch ›Heinz Kiesow‹. Wie oft hatte ich schon als Kind mit meinen Eltern an diesem Grab gestanden. Jetzt war mir klar, dass auch wir hier einmal beerdigt werden würden. Dann würden unsere Kinder an diesem Grab stehen, dem Grab ihrer Eltern, und mir wurde die Vergänglichkeit überdeutlich bewusst. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, das Leben, ein Geborenwerden und Sterben, nur ein kurzer Augenblick des Lichts. Ich erinnerte mich an meinen Vater, dessen Haut im Tode wie Wachs geglänzt hatte. Wie lange ich so in mich gekehrt am Grab gestanden bin, weiß ich nicht mehr, es war auf jeden Fall ein tief empfundenes Abschiednehmen von meinem geliebten Vater.
    Zu meiner Mutter hatte sich während der gemeinsamen Pflege meines Vaters ein engeres Verhältnis aufgebaut. Nach seinem Tod fühlte sie sich furchtbar einsam. »Seit meiner Jugend habe ich keine solche Trauer und Einsamkeit mehr in mir gespürt«, sagte sie in dieser Zeit einmal zu mir. »Dabei dachte ich, mein Anteil an Leid läge in diesem Leben bereits hinter mir.«
    Dann eröffnete sie mir eines Tages eine große Neuigkeit.
    »Ich werde umziehen, Julia. Und stell dir vor, ich freue mich schon darauf, die neue Wohnung einzurichten. Das wird mich ablenken von meiner Trauer. Wo ich jetzt wohne, kann ich der Erinnerung an Heinz nicht eine Sekunde ent fliehen. Ich will aber auch wieder ein eigenes Leben führen können, obwohl Heinz immer in mir drinbleiben wird, egal wo ich bin.«
    Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte ich den Eindruck, dass sie mich wieder an ihrem Leben teilhaben ließ. Es war ein schönes Gefühl.
    Im Frühjahr brachte ich dann Jonas zur Welt und noch einmal zwei Jahre später den kleinen Lukas. Jetzt waren wir keine ganz kleine Familie mehr, aber noch immer eine glückliche. Nur Agnes schien mich mit jedem Kind mehr zu hassen, vertiefte dies doch jedes Mal noch ihre Wunde, dass sie selbst bisher keines bekommen hatte.
    als ich über diese zeit nachdachte, wurde mir ganz schwer ums Herz. Konnte es wirklich sein, dass Franz und ich jetzt kurz vor einer Trennung standen, und das alles nur, weil sein Bruder und dessen Frau mir so zusetzten? Plötzlich wusste ich ganz sicher, dass ich mich nicht so leicht geschlagen geben würde. Wie meine Vorfahrinnen würde auch ich für mein Glück kämpfen, das wurde mir in diesem Moment klar.
    Nachdem wir einen gemütlichen Abend gemeinsam mit Tante Rosel verbracht hatten, an dem sie den Kindern alte Sagen und Märchen erzählt hatte, packte ich am nächsten Morgen unsere Sachen und wir kehrten zu Franz nach Hause zurück. Als Susanne und Jonas, kaum dass unser Haus in Sicht kam, auf Franz zustürmten und ihm begeistert von unserem Ausflug und all den Abenteuern erzählten, die sie erlebt hatten, spürte ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Franz und ich gehörten zusammen, und auch Agnes und Eberhart würden uns nicht auseinanderbringen können, sosehr sie es auch versuchten.

UND TATSÄCHLICH SCHAFFTEN FRANZ UND ICH ES, DEN unschönen Streit beiseitezuräumen und uns in der folgenden Zeit wieder auf unsere Liebe zueinander zu besinnen. Alles hätte so schön sein können, wäre ich nicht weiterhin den gemeinen Sticheleien von Agnes und Eberhart ausgesetzt gewesen. Auch bei ihnen hatte sich allerdings in der Zwischenzeit einiges getan. Immer häufiger hörte ich von Franz, wie schlecht Agnes über Eberhart redete und wie gemein sie ihn behandelte. Franz fing wieder an, sich häufiger mit seinem Bruder allein zu treffen, um Eberhart auf andere Gedanken zu bringen. Es war fast wie früher – außer dass nun beide Brüder verheiratet waren, und wir Frauen uns untereinander nicht verstanden.
    Es war an einem zweiten Weihnachtsfeiertag, die Kinder waren den Tag über zum Spielen bei Oma Helga und würden erst zum Abendessen wieder zurückkommen. Franz und ich saßen nach einem ausgiebigen Frühstück vorm Kachelofen und genossen die Stille, da schlug Franz mir vor, doch heute zusammen einen Besuch bei seinem Bruder zu machen. Da es schließlich Weihnachten war, rangen wir uns durch, bei Agnes und ihm vorbeizuschauen.
    Als Franz und ich
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