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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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von einem Seerosenblatt. Er wagte nicht, es länger zu betrachten oder gar zu lesen, was darauf geschrieben stand, denn irgendetwas sagte ihm, dass es sich um etwas Wichtiges handeln musste. Einen Dank murmelnd, ließ er es in seinem Hosenbeutel verschwinden.
    Unterdessen machte sich Enno an einem der furchterregenden Fuhrwerke zu schaffen, öffnete dessen Hinterteil und reichte einen glänzenden weißen Sack heraus. »Hier. Sind auch ein paar Turnschuhe drin. Ich wollt’s eigentlich zur Sammlung geben, aber … na ja.«
    Wolfgang zögerte.
    »Nimm schon.«
    Wolfgang trat näher, griff nach dem Sack, das Material – es war kein Stoff, keine Haut, irgendetwas Sonderbares, ungeheuer Glattes – klebte ein wenig an den Fingern. Dann umrundete er Enno und lugte gebannt in das Innere des Wagens.
    Enno beobachtete ihn schweigend, seufzte. »Na gut. Ich hab noch was zu besorgen, wenn du willst, nehme ich dich halt ein Stück mit.«
    Mit einer Mischung aus Erregung und Schauder klammerte Wolfgang seine Hände um die Kante der Sitzbank. Sie war komfortabel wie ein feines Möbelstück. Fasziniert betrachtete er die vielen Knöpfe, die vor dem Kutscher angebracht waren.
    »Ist es nicht gewagt, in einem solchen Gefährt zu reisen?«
    Enno drehte sich um und sah ihn aus schmalen Augen an. »Ich hab gerade frisch Service gemacht, vermutlich hält er länger als du.«
    »Aber – wie fährt es? So ganz ohne Pferde?«
    Das schien die falsche Frage gewesen zu sein, Enno wirkte sichtlich erbost. »Wenn dir fünfzig Pferde nicht reichen,kannst du ja nach Hause zu deinem Ferrari laufen.« Atemzüge lang saßen beide still, dann wandte sich Enno ihm wieder zu, seine Ungeduld war spürbar. »Also was ist, wohin willst du?«
    »Nach Wien.« Der vertraute Name klang, als lege ihm jemand ein warmes Tuch über die Schultern.
    Enno hielt sich die Hand vor die Stirn. »Was glaubst du, wo du hier bist? Wo wohnst du denn nun? Oder hast du keine Adresse?«
    »Das soll … Wien sein?« Fassungslos starrte Wolfgang auf die Straße, sah die bunten Fuhrwerke, die grellen Schilder an der Hauswand gegenüber. Sein Hals begann schmerzhaft zu pulsieren. Dann wandte er den Kopf langsam Enno zu, brauchte mehrere Anläufe, bis seine Stimme ihm gehorchte. »Bis gestern … wohnte ich zum Rauhen Stein …«
    »Welcher Bezirk?«
    Wolfgang hob zaghaft die Schultern, versuchte in Ennos Blick zu lesen. »Es ist unweit von St. Stephan.«
    Mit hochgezogenen Augenbrauen wanderte Ennos Blick an ihm herab. »Also setz ich dich bei der U-Bahn am Stephansplatz ab, da kennst du dich vermutlich am besten aus.«
    Ein sonores Brummen und Vibrieren begann, das Wolfgangs ganzen Körper erfüllte, dann wurde sein Rücken in die Polster gedrückt. Er drehte sich zum Fenster. Der Takt, andante, in dem die Baumstämme an ihm vorbeifegten, allegretto, verselbständigte sich, allegro assai, formte sich zu einer beängstigenden Melodie, presto, riss sein gesamtes inneres Orchester mit, prestissimo, bis er sich vor seiner eigenen Musik zu fürchten begann. »Aaaah!« Obwohl es im Wagen angenehm warm war, zitterte Wolfgang, er hatte das Gefühl zu fliegen wie ein Vogel, ohne jeden Stoß, ohne jede Erschütterung glitt das Fuhrwerk rasend schnell dahin, Häuser, immer wieder Häuser mit grellen Schildern, Fuhrwerke, Menschen, alles huschte an ihm vorbei, nochehe sein Auge es zu erfassen vermochte. Sie fuhren durch eine breite Straße, rechts und links hohe Gebäude, eines schien ganz aus Glas, die bleiernen Wolken spiegelten sich so klar darin, dass sich kaum der Rand des Himmels ausmachen ließ. Das war nicht Wien, nicht sein geliebtes Wien, so schrill, groß und kalt! Der Atem reichte nur knapp bis in seinen Brustkorb hinab, das Herz stolperte ihm, blanke Angst griff an seine Kehle.
    »Was heißt denn eigentlich ›bis gestern‹?«, fragte Enno. »Hat deine Alte dich rausgeschmissen?«
    »Was?« Wolfgang keuchte, glotzte starr aus dem Wagen. »Bei Gott, das ist alles nicht wahr!«
    Von Enno kam ein auf der ersten Silbe betontes »Aha«, für ihn schien die Sache damit erledigt.
    Wolfgang wagte nicht nach vorne zu schauen, derart schnell rasten Fuhrwerke ihnen entgegen, er krallte flüchtige Blicke in die Menschen auf den Gehsteigen, die meisten von ihnen trugen lange, enge Hosen und aufgeplusterte kurze Jacken und bewegten sich, als stünde allenthalben die Sperrstunde bevor. Über den Straßen hingen leuchtende Sterne wie an einer Wäscheleine.
    »Ich lass dich vorne in der
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