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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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Singerstraße raus, zieh endlich den Kram an, sonst verfrierst du doch sofort.« Der Wagen hielt am Rand der Fahrbahn. Wolfgang warf ängstliche Blicke nach draußen, versuchte sich zu orientieren, doch alles, was er sah, war ein fieberhaftes Gewusel von Menschen, Fuhrwerken, erleuchteten Fensterscheiben, bunten Tafeln und Aufschriften, Getöse – Himmel, nein! Hier kannte er sich nicht aus, hier war er nicht zu Hause, wie sollte er sich in diesem Durcheinander zurechtfinden?
    Ennos Augen fixierten ihn aus einem kleinen Spiegel, der innen am Wagendach befestigt war. »Was ist, willst du Wurzeln schlagen? Wir sind da.«
    »Aber … aber wo? Wo sind wir?«
    »Beim Stephansdom, Marandjosef!« Enno wies mit einer undeutlichen Handbewegung die Straße entlang. »Da wolltest du doch hin. Bitte sehr.«
    Wolfgang nahm tief Luft. »Ich weiß nicht, wie man das öffnet …«
    »Ich fass es nicht!« Enno zwängte seinen Arm nach hinten und zeigte auf eine silberne Klappe. »Dort! In der Tür.«
    Wolfgang zog bedächtig an dem Hebel, bis es klackte und die Tür aufsprang. »Wie nennt man ein solches Gefährt?«
    »Das ist ein Toyota. Und jetzt mach, dass du rauskommst, schönes Leben noch.«
    Er tastete mit einem Bein nach draußen, verharrte, suchte Ennos Blick. Hatte Enno tatsächlich
Leben
gesagt?
    »Ist noch was?«
    »Ich danke vielmalen für die Hilfe und Freundlichkeit, die dein gutes Herz mir hat zuteil werden lassen, du musst ein Engel sein.«
    »Schon in Ordnung, Kumpel, grüß mir die Jungs unter der Brücke.«
    Wie einen Schatz hielt er den Sack umklammert und schälte sich aus dem Toyota, starrte dem Fuhrwerk hinterher, das wieder auf die Straße glitt. Dann durchfuhr ihn ein Schreck: seine Noten! Er hatte sie in der Kammer liegenlassen. Mit den Armen fuchtelnd, humpelte er ein paar Schritte hinter dem kleinen blauen Wagen her. Doch vergeblich: Enno verschwand bereits um die nächste Ecke.

Sequenz
Dies irae
     
    Dies irae, dies illa,
    Solvet saeclum in favilla,
    Teste David cum Sibylla.
    Quantus Tremor est futurus,
    Quando judex est venturus,
    Cuncta stricte discussurus!
     
    Die Luft bestand aus ungezählten Geräuschen, körperlosen Lauten, sie durchdrangen ihn, klebten an ihm, er atmete sie ein. Hätte Wolfgang gesehen, was er hörte, wäre ihm das Luftholen leichter gefallen. Starr stand er gegen eine Hauswand gedrückt, ließ Menschen und Toyotas an sich vorbeihasten, bis deren Rhythmus ihm allmählich verständlicher wurde. Alles schien einer stillen Ordnung zu folgen, denn obwohl die Fuhrwerke rasch dahinzugleiten vermochten, kamen sie sich nie in die Quere, die Kutscher schimpften nicht aufeinander ein und drohten nicht mit Schlägen, wie er es von den Wiener Pferdedroschken gewohnt war. Wien! Er blies warmen Atem in seine Hände. Nein, dies war nicht Wien, nicht das Wien, das er kannte, das in ihm lebte und das er zum Greifen nah vor sich zu sehen glaubte, sobald er nur die Augen schloss. Irgendetwas war geschehen, und an welchen Ort auch immer er geraten war, er musste herausfinden, wohin.
    Entschlossen kauerte er sich auf den Gehsteig. Seine Finger waren vom Frost so steif, dass er den Sack nur mit Mühe leeren konnte. Ganz unten fand er ein Paar Schuhe, seltsam leicht und weiß. Er roch daran, doch seine Nase war ebenso taub wie seine Füße. Alles, was er spürte, war, dass die Schuhe zwar viel zu groß, innen dafür wohltuend weich waren. Zwischen den anderen Sachen knüllte eine lange Hose aus dickem braunem Stoff, die er kurzerhandüber seine blaue streifte, und eine Reihe von Oberteilen, eigentümlich geschnittene Absonderlichkeiten, die er unter den empörten Blicken zweier vorbeieilender Frauen ebenfalls übereinander anzog, bis er das Gefühl hatte, gegen die Kälte wehrhaft zu sein. Schließlich stopfte er die restlichen Sachen in den Sack zurück und ging mit vorsichtigen Schritten in die Richtung, die Enno ihm gewiesen hatte.
     
    Am Ende der Straße, die ihm auf eine Art vertraut war, als habe er sie einmal im Traum durchmessen, erhob sich ein Gebäude wie ein gläserner Turm. Fasziniert blieb er davor stehen. Doch dann … War es ein Trugbild? In den spiegelnden Fenstern erkannte er die Türme von St. Stephan! Augenblicklich fuhr er herum. Und tatsächlich: Übermächtig wie eh und je ragte der steinerne Koloss vor ihm auf. Wolfgang verharrte, um mit dem vielen Atem fertig zu werden, der in ihn hinein- und wieder aus ihm herauswollte. War es möglich? Der irdische Hof Gottes in jenseitigen
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