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Herr des Lichts

Herr des Lichts

Titel: Herr des Lichts
Autoren: Roger Zelazny
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versammeln sich alle Mönche für eine Stunde, ausgenommen die, die Schweigegelübde abgelegt haben. In dieser Stunde darf jeder mit jedem offen sprechen.«
    »Ich werde die Zeit bis dahin im Gebet verbringen«, sagte Aram. »Ich danke Euch.«
    Beide verneigten sich leicht voreinander, und Aram betrat seine Kammer.
    An diesem Abend besuchte Aram die Gemeinschaftsstunde der Mönche, in der die Orden miteinander zusammenkamen und miteinander sprachen. Sam kam ebensowenig wie Yama zu dieser Stunde, und auch Tak war nie anwesend.
    Aram setzte sich an den langen Tisch im Refektorium. Ihm gegenüber saß eine Gruppe von Mönchen des Buddha.
    Er unterhielt sich einige Zeit mit ihnen und erörterte Lehre und Praxis, Kastensystem und Glaubensregel, Wetter und Tagesangelegenheiten.
    »Es mutet mich seltsam an«, sagte er nach einer Weile, »daß Euer Orden plötzlich so tief in den Süden und so weit nach Westen gezogen ist.«
    »Wir sind ein Wanderorden«, erwiderte der Mönch, den er angesprochen hatte. »Wir folgen dem Wind. Wir folgen unseren Herzen.«
    »Ins Sumpfland hinein, und das mitten in der Gewitterzeit? Erwartet Ihr hier vielleicht eine Offenbarung, deren Anblick auch meinen Geist erleuchten könnte?«
    »Das ganze Universum ist eine einzige Offenbarung«, sagte der Mönch. »Alles verändert sich, und doch bleibt alles gleich. Der Tag folgt der Nacht, jeder Tag ist anders, und doch ist jeder Tag ein Tag. Vieles auf der Welt ist Schein, aber die Ordnung dieses Scheins folgt einem Muster, das Teil der göttlichen Wirklichkeit ist.«
    »Ja, ja«, sagte Aram. »Ich bin wohlbewandert, was Schein und Wirklichkeit betrifft, aber was ich wissen wollte, war dieses: ob vielleicht ein neuer Lehrer hier in der Nähe erschienen oder ein alter Lehrer zurückgekehrt ist? Oder hat sich vielleicht eine göttliche Manifestation begeben? Das Wissen darum würde meiner Seele guttun.«
    Während er noch sprach, fegte die Hand des Bettlers einen roten, kriechenden Käfer von der Größe eines Daumennagels von dem Tisch vor ihm, und seine Sandale hob sich, um ihn zu zertreten.
    »Bitte, Bruder, laßt den Käfer leben«, bat ein Mönch.
    »Aber sie sind hier überall, und da die Meister des Karma festgesetzt haben, daß ein Mensch nicht als Insekt wiederkehren kann, verstößt der, der einen von ihnen tötet, nicht gegen die Gesetze des Karma.«
    »Wie dem auch sei«, sagte der Mönch, »alles Leben ist eins. In diesem Kloster leben alle nach der Lehre des Ahimsa. Wir tasten das Leben auch in seiner niedrigsten Gestalt nicht an.«
    »Doch Patanjali lehrt«, sagte Aram, »daß vielmehr die Absicht als die Tat es ist, die zählt. Deshalb: wenn ich mit Liebe und nicht mit Bosheit getötet hätte, wäre es, als ob ich überhaupt nicht getötet hätte. Ich bekenne aber, daß das nicht der Fall war und böser Wille mich leitete - deshalb: auch wenn ich nicht getötet habe, trage ich doch die Bürde der Schuld, denn entscheidend ist allein mein Vorsatz. Den Regeln des Ahimsa gemäß könnte ich nun auf den Käfer treten und würde nicht schuldiger dadurch. Aber da ich hier zu Gast bin, beuge ich mich natürlich Eurem Brauch und tue es nicht.« Mit diesen Worten nahm er seinen Fuß weg, der über dem Insekt geschwebt hatte. Der Käfer rührte sich nicht, seine rötlichen Antennen waren nach oben gespitzt.
    »Wirklich, er ist ein Gelehrter«, sagte einer vom Orden der Ratri.
    Aram lächelte. »Ich danke Euch, aber so ist es nicht«, stellte er fest. »Ich bin nur ein armseliger Wahrheitssucher. In der Vergangenheit hatte ich zuweilen die Gelegenheit und das Vorrecht, bei den Gesprächen der Schriftgelehrten zugegen sein zu dürfen. Ich wünschte nur, es würde sich mir noch einmal eine solche Gelegenheit bieten! Wenn sich irgendein großer Lehrer oder Schriftgelehrter in dieser Gegend aufhält, würde ich ganz gewiß über einen Rost mit glühenden Kohlen gehen, um ihm zu Füßen sitzen zu können, seine Worte zu hören und mich in sein Beispiel zu versenken. Falls.«
    Er verstummte, denn alle Augen waren plötzlich auf die Türöffnung hinter ihm gerichtet. Er wandte den Kopf nicht zur Seite, streckte nur seine Hand aus, um unauffällig einen Käfer zu zerdrücken, der reglos auf dem Tisch gesessen hatte. Ein Miniaturkristall und zwei winzige Drähte stachen durch das aufplatzende Chitin des Käferrückens.
    Dann drehte er sich um. Der Blick seines grünen Auges strich über die Reihe der Mönche, die zwischen ihm und der Tür saßen und
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