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Herr der Träume

Herr der Träume

Titel: Herr der Träume
Autoren: Roger Zelazny
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... Woher?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie lächelte.
    Der Kelch, den sie in den Händen hielt, strahlte in rosigem Licht, das von ihrem Smaragd reflektiert wurde. Es hüllte ihn ein wie ein kühler Luftzug.
    »Einen Drink?« fragte sie.
    »Bleib ganz ruhig stehen«, befahl er.
    Er wollte, daß die Wände zusammenstürzten. Sie verschwammen im Schatten.
    »Bleib ganz still stehen!« wiederholte er drängend. »Tu überhaupt nichts. Versuch nicht einmal zu denken.
    Laß dich fallen!« rief er, und die Wände explodierten nach allen Seiten, und das Dach wurde über den Rand der Welt geschleudert, und sie standen inmitten von Ruinen, die von einer einzelnen Kerze erleuchtet wurde. Die Nacht war pechschwarz.
    »Warum hast du das getan?« fragte sie und hielt ihm immer noch den Kelch entgegen.
    »Denke an nichts. Tu nichts«, befahl er. »Entspanne dich. Du bist sehr müde. So wie diese Kerze flackert und verlöscht, so verlierst du auch dein Bewußtsein. Du kannst dich kaum wachhalten. Du kannst dich kaum auf den Beinen halten. Deine Augen schließen sich. Hier gibt es ohnedies nichts zu sehen.«
    Er wollte, daß die Kerze verlöschte. Sie brannte weiter.
    »Ich bin nicht müde. Nimm doch einen Drink.«
    Er vernahm Orgelmusik in der Nacht. Es war eine andere Melodie, eine, die er zuerst nicht erkannte.
    »Ich brauche deine Hilfe.«
    »Gut. Was immer du begehrst.«
    »Sieh! Der Mond!« Er wies gegen den Himmel.
    Sie blickte hinauf, und der Mond erschien hinter einer dunklen Wolke.
    »... Und noch einer, und noch einer.«
    Monde zogen sich wie eine Perlenkette über die Schwärze.
    »Der letzte wird rot sein«, stellte er fest.
    Er war es.
    Da streckte er den rechten Zeigefinger aus, ließ den Arm am Rand seines Sichtbereichs vorgleiten und versuchte, den roten Mond zu berühren.
    Sein Arm schmerzte; er brannte. Er konnte ihn nicht bewegen.
    »Wach auf!« schrie er.
    Der rote Mond verschwand, dann die weißen.
    »Nimm doch einen Drink.«
    Er schlug ihr den Kelch aus der Hand und wandte sich ab. Als er sich wieder umwandte, hielt sie ihn ihm immer noch entgegen.
    »Ein Drink?«
    Er drehte sich um und floh in die Nacht.
    Es war, als liefe er durch hüfthohen Schnee. Es war falsch. Durch das Davonlaufen akzeptierte er den Fehler; er verminderte seine Kräfte und vergrößerte ihre. Es zehrte an seinen Energien.
    Inmitten der Finsternis blieb er stehen.
    »Die Welt um mich bewegt sich«, sagte er. »Ich bin das Zentrum.«
    »Willst du nicht einen Drink?« fragte sie, und er stand auf der Lichtung neben dem Tisch am Teich. Der Teich war schwarz und der Mond silbern und hoch oben außerhalb seiner Reichweite. Auf dem Tisch flackerte eine einzelne Kerze und ließ ihr Haar so silbrig erscheinen wie ihr Kleid. Sie trug den Mond auf der Stirn. Auf dem weißen Tischtuch stand eine Flasche Romanee-Conti neben einem schalenförmigen Weinglas. Das Glas war bis zum Rande gefüllt, und rosige Tropfen hingen am Rande. Er war sehr durstig, und sie war schöner, als er sie je gesehen hatte, und ihre Halskette glitzerte, und die Brise wehte kühl vom Teich her, und da gab es etwas ... etwas, an das er sich erinnern sollte ...
    Er trat einen Schritt auf sie zu, und seine Rüstung klirrte leise. Er wollte nach dem Glas greifen, und sein rechter Arm wurde steif vor Schmerz und fiel kraftlos herab.
    »Du bist verwundet!«
    Langsam wandte er den Kopf. Das Blut floß aus einer offenen Wunde am Bizeps, rann den Arm entlang und tropfte von den Fingerspitzen. Seine Rüstung wies einen Riß auf. Er zwang sich dazu wegzusehen.
    »Trink dies, Geliebter. Es wird dich heilen.«
    Er stand reglos.
    »Ich werde das Glas halten.«
    Er starrte sie an, als sie es an seine Lippen hob.
    »Wer bin ich?« fragte er.
    Sie schwieg, aber etwas im Geplätscher des Wassers im Teich antwortete ihm:
    »Du bist Render, der Schöpfer.«
    »Ja, ich erinnere mich«, sagte er und konzentrierte sich auf die einzige Lüge, die die ganze Illusion zu durchbrechen imstande wäre. Er zwang seinen Mund zu sagen: »Eileen Shallot, ich hasse dich.«
    Die Welt bebte und schwankte um ihn, schüttelte sich wie in einem gigantischen Schluchzen.
    »Charles!« schrie sie, und Schwärze überschwemmte sie beide.
    »Wach auf! Wach auf!« rief er, und sein rechter Arm brannte und schmerzte und blutete in der Finsternis.
    Er stand allein inmitten einer weißen Ebene. Sie war endlos, und kein Laut war zu vernehmen. Sie erstreckte sich bis zum Rand der Welt. Sie leuchtete von innen her, und der
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