Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Träume

Herr der Träume

Titel: Herr der Träume
Autoren: Roger Zelazny
Vom Netzwerk:
 
    Render merkte, daß sich das Ende näherte.
    Daher hielt er es für besser, jede Mikrosekunde einer Minute entsprechen zu lassen. Und vielleicht sollte auch die Temperatur erhöht werden.
    Irgendwo, knapp hinter der Peripherie von allem, kam das Vordringen der Dunkelheit zum Stillstand. Rollender Donner blieb auf einem grellen Ton hängen. Der Ton war ein Destillat von Scham, Schmerz und Furcht.
    Im Forum war es stickig.
    Cäsar kauerte außerhalb des Kreises der erregten Senatoren. Er preßte seinen Arm gegen die Augen, doch konnte er nicht verhindern, daß er alles sah. Diesmal nicht.
    Die Senatoren hatten keine Gesichter, und ihre Gewänder waren blutbespritzt. Ihre Stimmen klangen wie Vogelschreie. Mit unmenschlicher Wut trieben sie ihre Dolche in den Körper des Gefallenen.
    Alle, außer Render.
    Die Pfütze von Blut, in der er stand, breitete sich immer mehr aus. Sein Arm schien sich mit mechanischer Regelmäßigkeit zu heben und zu senken, und vielleicht drangen auch aus seiner Kehle Vogelschreie, aber er nahm gleichzeitig am Geschehen teil und auch nicht teil.
    Denn er war Render, der Schöpfer.
    Cäsar heulte gepeinigt und neiderfüllt seinen Protest hinaus.
    »Ihr habt ihn ermordet! Ihr habt Marcus Antonius getötet ... einen schuldlosen, unnützen Menschen!«
    Render wandte sich ihm zu. Der Dolch in seiner Hand war riesig und troff von Blut.
    »Aye«, sagte er.
    Die Waffe pendelte seitwärts hin und her. Cäsar folgte, fasziniert von dem scharf geschliffenen Stahl, mit dem Oberkörper der Bewegung.
    »Warum?« rief er. »Warum?«
    »Weil er ein viel ehrenhafterer Römer ist als du.«
    »Das ist nicht wahr!«
    Render zuckte die Schultern und wandte sich wieder dem Massaker zu.
    »Das ist nicht wahr!« schrie Cäsar. »Das ist nicht wahr!«
    Wieder drehte sich Render um und bewegte den Dolch hin und her. Wie eine Marionette folgte Cäsar der pendelnden Bewegung.
    »Nicht wahr?« Render lächelte. »Wer bist du, einen Mord wie diesen in Frage zu stellen? Du bist ein Niemand! Du bist der Würde des Augenblicks abträglich! Hebe dich hinweg!«
    Unbeholfen erhob sich der Mann mit dem rosigen Gesicht. Das Haar war teilweise zerrauft, teilweise klebte es an seinem Schädel. Er drehte sich um und ging. Nach einigen Schritten warf er einen Blick über die Schulter.
    Obwohl er sich vom Kreis der Meuchelmörder entfernt hatte, erschien die Szene keineswegs perspektivisch verkleinert. Sie hatte nichts an messerscharfer Deutlichkeit verloren. Dadurch fühlte er sich noch mehr ausgestoßen, noch mehr außerhalb und einsam.
    Render trat um eine zuvor unbemerkte Ecke und stand als blinder Bettler vor ihm.
    Cäsar packte ihn vorne am Gewand.
    »Hast du heute ein böses Omen für mich?«
    »Hüte dich!« spottete Render.
    »Ja! Ja!« rief Cäsar. »Hüte dich! Das ist gut! Hüte dich ... wovor?«
    »Vor den Iden ...«
    »Ja? Den Iden ...?«
    »... des Oktember.«
    Er ließ das Gewand los.
    »Was sagst du da? Was ist Oktember?«
    »Ein Monat.«
    »Du lügst! Es gibt keinen Monat, der Oktember heißt!«
    »Und das ist der Tag, den der ehrenwerte Cäsar fürchten sollte ... eine nichtexistente Zeit, ein Datum, das nie in den Kalendern erscheinen wird.«
    Render verschwand um eine ebenfalls plötzlich aufgetauchte Ecke.
    »Warte! Komm zurück!«
    Render lachte, und das Forum lachte mit ihm. Die Vogelschreie wurden zu einem Chor unmenschlichen Hohngelächters.
    »Ihr verspottet mich!« schluchzte Cäsar.
    Das Forum war ein Ofen, und Schweiß bildete eine glitzernde Maske auf Cäsars schmaler Stirn, spitzer Nase und kinnlosem Kiefer.
    »Ich möchte auch ermordet werden!« schluchzte er. »Das ist ungerecht!«
    Und Render riß das Forum, die Senatoren und den grinsenden Leichnam von Antonius in Stücke und stopfte sie in einen schwarzen Sack ... all das mittels einer unbemerkten Bewegung eines einzigen Fingers ..., und zuletzt verschwand auch Cäsar.
     
    Charles Render saß vor den neunzig weißen Knöpfen und den beiden roten, aber er sah sie eigentlich nicht. Sein rechter Arm bewegte sich in seiner geräuschlosen Schlinge, die ihn über das gesamte Pult zu führen vermochte, das sich in Schoßhöhe befand. Ein Finger drückte einige Knöpfe, glitt über andere hinweg, bewegte sich weiter und folgte der Rückrufsequenz.
    Sinneswahrnehmungen und Gefühle wurden auf Null reduziert, und der Abgeordnete Erikson fiel in das Dunkel des Mutterleibs.
    Ein leises Klicken war zu vernehmen. Renders Hand war zur untersten Knopfreihe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher