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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt
Autoren: Marcus Brühl
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Abkürzungen – «sucht eben solchen Partner.» Und drittens macht er sich Hoffnungen. Steffen wichst eine Weile lustlos vor sich hin, dann legt er das Blättchen zur Seite und macht Abendbrot. Vielleicht geht er nach der SIH noch auf den Friedhof. Immerhin ist Sonntag, da könnte man jemanden finden. Vielleicht einen frischen Bauernjungen, grinst Steffen unentschieden und weiß, dass er grob überschlagen bei vier von fünf Malen niemanden trifft, der ihn interessiert.

8
     
    Es kommt nicht besonders oft vor, dass Henning in den Wald geht. Er muss durch drei, vier Straßen und kommt auf den Parkplatz, schon von Bäumen umgeben. Trotz des sonnigen Wetters ist er praktisch alleine. Der Weg beginnt mit einer Kurve, und bald ist die Straße außer Sicht. Wenn man an der Gabelung mit den drei dicken Buchen nach rechts geht, kommt man nach einer guten Stunde zu einer Quelle. Dorthin geht Henning.
    Die Henning, nach der Henningstadt ihren Namen hat, entspringt in einer Höhle, deren Zugang so niedrig ist, dass man praktisch nicht hineingelangen kann. Nur Fle der mäuse können das und nutzen die Höhle als eine der wenigen wirklich ungestörten Nist- und Wohnstätten der Region.
    Als Henning klein war, hat er versucht, in die Höhle hineinzukommen, was zum Schrecken seiner Mutter ge klappt hat. Plötzlich war ihr Kleiner verschwunden. Zum Glück ist nicht nur der Zugang zur Quellhöhle sehr niedrig, sondern auch das Quellbecken sehr flach, so dass unser Held nicht gleich zu Beginn seines Lebens ertrinken musste.
    In der Höhle war es so dunkel, dass man nichts er ken nen konnte, schon gar keine Fledermäuse, die Henning aus einem Kinderbuch kannte und die er suchte, weil er sich mit ihnen anfreunden wollte. Die Fledermäuse leben anders als die Menschen: die dürfen nachts aufbleiben, so lange sie wollen. Die stehen sogar erst auf, wenn kleine Jungen wie Henning von ihrer Mutter ins Bett gebracht werden, und sie legen sich hin, wenn die Sonne aufgeht.
    Aber in dieser Höhle war niemand, nur dunkel war es.
    Henning streckte die Hände aus und tastete um sich herum. Er rief nach seinem Freund, der Fledermaus, aber sie gab keine Antwort. Henning horchte, aber nichts. Keine Antwort. Tränen traten ihm in die Augen, weil er so enttäuscht war, und er machte sich in die Hose. Wegen des Plätscherns und weil er noch so klein war.
    Am Boden zerstört kroch er zurück und kam wieder zum Vorschein. Seine Mutter schimpfte natürlich, weil sie sich erschrocken hatte. Zu heulen war gar keine schlechte Taktik. Es erregte das Mitleid der Mutter. Wellen des Schluch zens gingen durch Hennings kleinen Körper, so hingegeben, wie nur Kinder von Herzen mit dem ganzen Leib heulen können. Nachdem sie sich ihren Schrecken von der Seele geschimpft hatte, nahm sie ihren mittler wei le bibbernden Jungen auf den Arm und tröstete ihn. Die Henning hatte die Hose durchgespült, so dass wenig stens dieses Malheur unbemerkt blieb. Die Wärme seiner Mutter beruhigte Henning schnell.
    Sein Vater kommentierte die Episode mit den Worten: «Er war zwar so blöd, da reinzugehen, aber nicht zu blöd, um wieder rauszukommen.» Diesen Spruch hörte Hen ning im Laufe des Lebens noch einige Male von seiner Mutter, die dieses Wort ihres Gatten für durchaus zitie rens wert hielt und hoffte, ihr Sohn werde es auch in Zukunft so halten und aus allen dunklen Stationen seines Lebens zwar heulend, aber unversehrt hervorgehen.
    Henning setzt sich auf die Bank vor der Quelle. Er sieht dem Wasser zu. Er denkt nach.
    «Das kleine Rinnsal da wird die Henning, die in ihren stärksten Zeiten die ganze Stadt in Hochwasserpanik versetzt», und «Habe ich eigentlich noch was zu essen zu Hause?», sind ungefähr die Sachen, die zu manifesten Worten gerinnen. Er sitzt da. Henning seufzt melancho lisch auf. Er fixiert einen Stein in der Mitte des Baches und starrt ihn an. Langsam atmet er tief ein und aus.
    Die Sonne macht das Wasser glänzen, wenn es über einen Stein oder ein paar verrottende Blätter fließt. Die Reflexe bewegen sich leicht hin und her, bleiben aber im Wesentlichen auf der Stelle. Henning merkt, dass sich etwas verändert; er denkt langsamer. Irgendwie. Nach den ken kann man das eigentlich nicht nennen, es hat mit Worten nichts zu tun. Das Wasser nimmt er wahr, den Stein nimmt er wahr, Grün und Braun, und er sieht allem zu, wie es bleibt, wie es ist.
    Irgendwann hat er genug gesehen. Er atmet tief durch und steht auf, um nach Hause zu gehen. Alles scheint
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