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Hell's Kitchen

Hell's Kitchen

Titel: Hell's Kitchen
Autoren: Thomas Adcock
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weder Kinder noch Zeit gehabt hatten; wo wir allmählich und unvermeidlich zu einer Zahl in der Scheidungsstatistik der Polizei wurden.
    Und wo eines Tages ein Richter des Queens County Civil Court entschied, daß es nur recht und billig sei, wenn ich mich aus meinem hübschen Haus in Ridgewood verpißte - offiziell und auch de facto.
    Weswegen ich jetzt in dem Viertel wohne, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, weil es dort billig und eine Scheidung teuer ist.

    Früher mal war es ein anständiger Slum. Jeder nannte es Hell’s Kitchen.
    Die Mietskasernen wurden im großen und ganzen von Dockarbeitern und Druckern, Hausierern und Kneipenbesitzern, kleinen Ganoven und schweren Jungs bevölkert. Und von Jazzmusikern, einer ganzen Menge sogar. Und außerdem von einer Unzahl arbeitender Frauen mit Kindern, wie meiner eigenen Mutter und mir, deren Männer und Väter gegen Hitler und Tojo kämpften. Ich kann mich noch erinnern, in der Holy-Cross-Schule - mit ihren separaten Rundbogeneingängen für Jungen und Mädchen - Knickerbocker und Krawatte getragen zu haben. Damals gab es noch kein Fernsehen, und nur sehr wenige Leute hatten Telefon in ihrer Wohnung. Natürlich besaß noch niemand eine Klimaanlage, und nicht viele hatten damals das Geld, um sich einen Kühlschrank leisten zu können. Wir spielten Annie-over und Cally-up und Stoop-ball und Ballie-callie auf den Straßen, die wir uns mit Säufern, Nutten, Dieben, Falschspielern und Gangstern mit Pistolen und großen Autos teilten. Die irischen Priester beteten für unsere Seelen, ohne Ausnahme.
    Heute hat sich das Viertel verändert, und es verändert sich immer noch.
    Es heißt jetzt Clinton. Nur die Benachteiligten am Rande der Gesellschaft nennen es wie ich immer noch Hell’s Kitchen. Irgendwo habe ich gelesen, daß der neue Name für sozialen Fortschritt steht und daß alle Neuankömmlinge, die ihn benutzen, damit dem Stadtteil viel Glück wünschen.
    Die Neuankömmlinge - ich selbst nicht eingeschlossen, da ich nur nach Hause zurückkehre - sind jung und stets gutaussehend. Sie haben Jobs, bei denen sie den ganzen Tag saubere Fingernägel behalten, und sie sind bereit, hohe Mieten für renovierte Apartments mit »Charakter« zu zahlen. Sie scheinen alles über ausgezeichnetes Essen zu wissen, nur daß sie keine Ahnung haben, wie sie es sich in ihren renovierten Küchen selbst zubereiten können.
    Aber sie wissen nichts davon, wie es hier früher war, nichts über die ungelösten Sorgen und Probleme von Hell’s Kitchen. Und es interessiert sie auch nicht. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich das Ghetto ihrer Träume zu bauen.
    Und dann sind da die anderen. Die Verlierer. Verzweifelt klammern sie sich an winzige Wohnungen und einengende Jobs in einer Stadt, die versessen darauf zu sein scheint, jeden zur Räumung zu zwingen, der nicht den Anstand besitzt, Broker oder Immobilienprinz oder Medienzar zu sein. Das sind die Menschen, die um uns herum ausrutschen und fallen, oder wenn nicht, dann eben zum Scheitern getrieben werden. So oder so - jedes Jahr landen mehr von ihnen auf der Straße.
    Verlierer behaupten, es hätte bei Gott einmal eine Zeit gegeben, als gewisse Dinge immer selbstverständlich waren: Franklin D. Roosevelt war immer der Präsident, Joe Louis war immer der Champ, Paul Muni spielte jeden im Kino, und ganz allgemein war man der Ansicht, daß wir alle in einem Boot säßen.
    Meistens höre ich solche Sentimentalitäten gern, da es in dieser brutalen Zeit beruhigend auf mich wirkt und da mir auffällt, daß ich mich schon immer zu den Verlierern des Lebens hingezogen fühlte. Das ist meine Natur, und deshalb kann ich nichts dagegen tun, und vielleicht bin ich ja auch selbst ein Verlierer.
    Womit ich sagen will, daß ich an dem Tag, an dem ich mich dank der Hilfe eines Burschen namens Buddy-O in Hell’s Kitchen wiederfand, keine brauchbareren Kenntnisse des Stadtteiles besaß als jeder x-beliebige der gutaussehenden Neuankömmlinge oder einer der alteingesessenen Verlierer. Zum Beispiel hatte ich keine Ahnung, daß die Vergangenheit nie wirklich vergangen ist, gleichgültig, wie sehr die Menschen auch immer versuchen, die Erinnerung zu planieren.
    Aber das würde ich noch - auch gegen meinen Willen -lernen. Außerdem würde ich lernen, daß in Hell’s Kitchen an jeder Ecke ein Albtraum lauert.

    Neil Hockaday ist mein Name, aber praktisch jeder nennt mich einfach nur Hock - bis auf meinen einzigen noch lebenden Verwandten. Das wäre
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