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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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mit affenartiger Behendigkeit seine Eigentümer zusammen und setzt den Rückzug fort. Aber durch den Türspalt hört er gerade noch eine verschlafene Stimme: »Bubi, bist du schon auf?«
    Bubi hört nicht. Bubi ist schon auf der Treppe. Im Vestibül. Auf der Straße. Fort.
    »Bubi« hat sie zu ihm gesagt. Wieso Bubi? Wer sagt Bubi? Wie kam dieses Wesen in sein Zimmer? Wer gab ihr das Recht, dort meuchlings zu übernachten? Er zerquält seinen schmerzenden Kopf. Er exerziert die Ereignisse des Abends durch. Er kommt bis Nebel und Litfaßsäule. Dann beginnt die große alkoholische Gedächtnislücke.
    Und das Furchtbarste: Er weiß jetzt nicht mehr, ob er ein gutes oder schlechtes Gewissen hat. Er zählt es an den Knöpfen ab, aber die wissen es auch nicht und sagen jedesmal etwas anderes.
    ***
    Die Bubi zu ihm gesagt hat, ist langsam munter geworden. Sie blickt sich im Zimmer um. Von Bubi keine Spur. Ihr Bubi ist ausgekniffen. Der Sessel ist leer, und auch die Siebensachen sind weg. Als einzige Erinnerung an den geflüchteten Parzifal liegt ein kalter Zigarrenstummel auf dem Boden.
    Sie steht auf und zieht sich an. Es geht schnell mit den dürftigen Fähnchen. Sie ist überhaupt ein armes hungriges Ding, bei dem blassen Morgenlicht sieht man das erst richtig.
    Ist das ein feines Zimmer! Sie dreht das Wasser auf und zu, knipst das Leselämpchen an und aus, streicht mit bloßen Füßen über den weichen Teppich, bestaunt die Möbel, die Vorhänge, das Bett und befühlt das kühle, feinfädige Leinen der Bezüge. Das ist aber ein feiner Stoff! Viel zu schade für ein dummes Bett. Man kann auch Sportkleider daraus machen.
    Sie ist ein dummes Ding und nicht gewohnt, viel zu denken. In einem Leben, wie sie es hat, ist das hinderlich.
    Aber jetzt hat sie doch einen kleinen, plötzlichen Gedanken. Sie riegelt leise die Tür zu, zieht einszweidrei die schönen weißen Bezüge von den Betten und rollt sie zusammen. In den Schubladen ist schönes, weißes Papier. Damit macht sie ein nettes, rundes Paket. Dann horcht sie eine Weile vorsichtig durch den Türspalt in den Flur hinaus, nimmt das Paket und ist fort.
    Das Zimmer liegt leer. –
    Gegen Mittag klopft jemand. Leise und diskret.
    Keine Antwort.
    Dann nochmal, etwas kräftiger.
    Keine Antwort.
    Schließlich laut und vernehmlich und mit Räuspern: »Verzeihung die Herrschaften –«
    Keine Antwort. Ein leeres Zimmer kann nicht antworten.
    Dann klinkt die Tür vorsichtig auf, und der Zimmerkellner steckt unter vielen Entschuldigungen seinen geölten Kopf ins Zimmer. »Darf ich die Herrschaften stören?«
    Die Herrschaften lassen sich nicht stören. Die Herrschaften sind nicht da. Auch kein Gepäck ist da. Nichts ist da.
    Und außerdem sind die Bezüge von den Betten. – Alarm.
    »Lina, haben Sie vielleicht –« Die Lina kommt. Es ist das Stubenmädchen. Aber sie hat nicht.
    »Peter, wissen Sie vielleicht –« Der Peter kommt. Es ist der Hausdiener. Aber er weiß auch nicht.
    »Herr Schmitz, sehen Sie doch mal –« Der Herr Schmitz kommt. Es ist der Geschäftsführer. Und er sieht es ganz deutlich.
    Und dann kommen sie alle und stehen im feierlichen Kreis um die beraubten Betten.
    Frage: Wer hat hier logiert?
    Das Fremdenbuch wird geholt. Das Fremdenbuch muß es wissen. Und das Fremdenbuch antwortet: Kanzleivorsteher Christian Kempenich und Frau, aus Weinheim an der Mosel.
    ***
    Kempenich sitzt bereits im D-Zug.
    Als er die beiden Türme des Domes in der Ferne verschwimmen sieht, wird ihm leichter ums Herz. Er bekommt sogar Hunger. Daß er in dem verhexten Hotel nicht gefrühstückt hat, kann man ihm nicht verargen.
    Er geht in den Speisewagen.
    Das Frühstück ist die schönste aller Mahlzeiten. Man ist ausgeruht und jung, hat sich noch nicht geärgert und ist voll neuer Hoffnungen und Pläne. Und der Kaffee vertreibt die letzten Schlafreste und fährt prickelnd in die Glieder, das knusprige Brötchen kracht zwischen den Zähnen, und der Honig duftet nach Blüten und Sonne. Allerdings gehört zum Frühstück: Zeit. Ein gehetztes Frühstück ist ein schlechter Auftakt. Im Speisewagen hat man Zeit. Kein Dienst, der anfängt, keine Post, die neben dem Teller liegt, nicht einmal eine Zeitung, die gelesen sein will. Und dazu die Fenster rechts und links mit dem Wandelpanorama. Kempenich beschaut die vorbeiflitzende Landschaft. Zarter Duft liegt auf dem Rhein. Die Sonne löst ihn von oben auf und putzt die Gipfel des Siebengebirges blank. Der gewissenhafte Kempenich
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