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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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zählt die Spitzen nach: einmal sind es fünf, einmal sind es neun; er wird nicht schlau daraus.
    Seine Stimmung bessert sich zusehends. Die Welt ist schön, und es lohnt sich, darin zu kutschieren. Und im Grunde genommen ist das alles sehr lustig. Hedwig wird lachen, wenn er ihr davon erzählt.
    Wird sie wirklich lachen? Vielleicht wird sie ihn peinlich ausfragen und am Ende nicht einmal alles glauben. Vielleicht sogar auf dumme Gedanken kommen. Frauen sind in diesen Sachen so komisch.
    Am besten ist, man sagt ihr nichts. Wenigstens nichts von Wissenschaft und Hotel und Bubi und so weiter. Es wird sie nur aufregen.
    Und überhaupt ist das eine Männerangelegenheit!
    Plötzlich fängt er an, seine Taschen zu durchsuchen! Man kann nicht wissen! Da kommen die gutgemeinten, aber ungegessenen Reisebutterbrote, die ihm die Kusine in die Taschen gestopft hat. Dann eine leere Zigarettenschachtel. Merkwürdig, wo er doch nie Zigaretten raucht. Schließlich in der Westentasche allerlei Papierchen, Eintrittskarten, Fahrscheine, Kellnernotas.
    Aber hier: Hotel Monbijou – zweimal Logis M. 9. –. Das hätte ja lieblich werden können! Dummer Name übrigens, Hotel Monbijou.
    Er zerreißt das Papierchen in mikroskopisch kleine Stückchen und wirft sie zum Fenster hinaus. Der Wind fegt sie zurück und streut sie als Konfetti durch den Speisewagen. Kempenich sammelt sie sorgsam vom Boden und verbrennt sie im Aschenbecher. So. Jetzt ist alles in Ordnung. Jetzt kann nichts mehr passieren. Er konnte freilich nicht wissen, daß just um diese Stunde auf einem Polizeibüro der Stadt Köln ein Aktenstück angelegt wird mit der Aufschrift:
    Strafsache
    gegen: Christian Kempenich und Ehefrau
    wegen: Hoteldiebstahl.
    ***
    Eine Nacht, sitzend im Wartesaal zugebracht, dauert endlos.
    Aber auch diese Endlosigkeit hat irgendwann ein Ende. Um 7 Uhr 47 steigt Frau Hedwig in ihren Zug und fährt zwischen Milchkannen, Weinbauern und Gemüsekörben heimwärts.
    Sie ist bleich und übernächtigt. Aber sie weiß jetzt, was sie ihrem Mann erzählen wird. Sie hat sich ein sauberes Sprüchlein zurechtgelegt und murmelt es vor sich hin. Sie weiß aber auch, daß sie im Lügen keine Übung hat, sie fürchtet rot zu werden, und diese Angst vor dem Rotwerden treibt ihr schon jetzt das Blut in die Wangen.
    In Bullay muß sie umsteigen und mit der Moseltalbahn weiterfahren. In Bullay nämlich wird es der Hauptstrecke zu dumm, den närrischen Moselwindungen zu folgen, und sie bahnt sich quer landein den geraden Weg nach Trier. Das Moseltalbähnchen aber, bestehend aus einem Lokomotivchen und zwei Wägelchen, schlängelt sich gewissenhaft den Fluß entlang aufwärts, um keines der putzigen Moseldörfer auszulassen. Es sind lauter kleine, dem Kenner bekannte Orte. Der Fahrplan liest sich wie eine Weinkarte.
    Hedwig hat keinen Sinn für dieses Bahnidyll. Sie hat andere Sorgen und außerdem zunehmendes Herzklopfen. Noch zwei Stationen. Noch eine. Weinheim!
    Als sie aussteigt, sieht sie – der Puls klopft ihr bis in die Nasenspitze –, sieht sie ihren Mann aus dem Nebenabteil klettern. Glücklicherweise ist er völlig von Handkoffer, Feldstecher, Mantel, Schirm, Reisedecke und Hutschachtel in Anspruch genommen. Frau Hedwig nimmt geistesgegenwärtig hinter dem umfangreichen Stationsvorsteher Deckung, schlägt einen Bogen um ihren Mann und fliegt wie der Wind nach Hause.
    Jetzt kann noch alles gut werden. Sie hat zwei Minuten Vorsprung.
    Schnell fischt sie sich die Maria. »Du wirst dich wohl gewundert haben –«
    Die Maria sagt nein.
    »Ich bitte mir aber aus, daß du dich wunderst, wenn ich über Nacht fortbleibe. Ich habe mir nämlich furchtbar den Fuß verstaucht. Paß mal auf.«
    Sie humpelt dem Mädchen etwas vor.
    »Och, der ist noch ganz dick«, stellt die Maria fest.
    »Nun hör' mal gut zu. Wir wollen meinem Mann natürlich nichts davon sagen. Er macht sich gleich solche Sorgen. Hast du verstanden?«
    Die Maria nickt.
    »Also, was sollst du ihm sagen?«
    Die Maria fängt an zu deklamieren: »Der Fuß – an dem Fuß – mit dem Fuß – wegen dem Fuß –«
    »Ach was, nichts sollst du sagen. Ich bin einfach gar nicht fortgewesen!«
    »Nein?«
    Endlich begreift die Maria. Es dauert lange bei ihr, aber dann sitzt es für alle Ewigkeit.
    Es war höchste Zeit. Unten geht schon die Haustür. Frau Hedwig reißt ihren Sommerhut ab, stopft ihn hinter das Sofa, bindet sich eine hausfrauliche Schürze um – die Schritte sind schon auf der Treppe –
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