Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
Vom Netzwerk:
schnell noch eine Handarbeit, hingesetzt, ganz ruhig, so. Als Kempenich eintritt, schreckt sie empor und fliegt ihm an den Hals. »Ach – bist du da? Wie lieb von dir.«
    Kempenich will sich wegen des verpaßten Zuges entschuldigen. Sie hält ihm den Mund zu. Sie will das gar nicht wissen. Es ist ja alles gut so.
    Überhaupt ist die Begrüßung auf beiden Seiten außerordentlich zuvorkommend und herzlich. Der Menschenkenner würde sagen: Auffallend herzlich. Man läßt einander gar nicht zu Wort kommen, man fragt nicht, um nicht gefragt zu werden, man ist gegenseitig gar nicht neugierig und erstickt die Verlegenheit in den üblichen unverbindlichen Redensarten:
    »Wie war es in Köln?«
    »Gott, wie soll es gewesen sein? Ganz nett soweit. – Und was hast du hier gemacht?«
    »Gott, was soll ich schon gemacht haben? Nichts Besonderes. – Nun laß dich mal ansehen. Du siehst müde aus.«
    »So? – Du übrigens auch.«
    »Ja, denk mal, ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Du hättest mich doch besser mitnehmen sollen. Meinst du nicht auch?«
    Das meint Kempenich auch.
    ***
    Kegeln ist der Ausdruck bürgerlicher Gesittung.
    Oberlehrer spielen Schach. Jungens treten Fußball. Damen kränzen Kaffee. Der biedere Bürger dahingegen kegelt.
    In Weinheim kegelt man beim Bergalten. Die Kegelbahn liegt im Freien und ist als Galerie in den Felsen gehauen. Sechsundachtzig mühsame Steinstufen führen hinauf. Die Lage hat ihre Vorteile. Man ist weitab von Häusern und Polizeistunde und kann bollern und schwadronieren so lange und so laut man will. Man ist unter sich.
    Jeder Sport hat seinen Dreß. Man reitet in Breeches, kraxelt in Loden und schwimmt im Trikot. Zum Kegeln trägt man Hemdsärmel. Blütenweiße, gutgebügelte Hemdsärmel. Ab zehn Uhr ohne Kragen.
    Hemdärmelig ist das Tun, hemdärmelig der Ton. Tennis spielen Herren mit und ohne Damen. Kegeln tun Männer, Männer unter sich. Kegelnde Männer schwitzen, haben Durst, erzählen Zoten. Manchmal machen sie einen Ausflug, dann sind sie noch mehr unter sich, und die zurückbleibenden Frauen sind mißtrauisch.
    Im Bergalten kegeln dienstags die oberen Zehntausend von Weinheim. Sie bestehen aus dem Steuerinspektor, dem Tierarzt, dem Postverwalter, dem Apotheker und dem Herrn Enkirch, der zwar keinen Titel, aber ein gutgehendes Kolonialwarengeschäft hat und durch seine Stiftungen beliebt ist. Außerdem natürlich Kempenich. Nicht weil er gut kegelt, sondern weil er kraft seines Standes dazugehört.
    Diesmal hatte er sich ganz besonders auf das Kegeln gefreut. Jetzt kann er von Köln erzählen, kann mitreden, man wird im Kreise um ihn herumstehen, ihn anhören, ausfragen, bewundern. Er wird der Mittelpunkt des Abends sein.
    Als letzter kam Kaufmann Enkirch. Er kam mit einer lebenden Gans unter dem Arm. Sie, und nicht Kempenich, wurde Mittelpunkt des Abends. Denn sie wird ausgekegelt. Enkirch hat sie gestiftet. Jeder will sie erringen. Für Kempenich und sein Köln hat kein Mensch Interesse.
    Kempenich ist außer sich. Er beißt sich auf die Lippen und läßt seine verhaltene Wut an dem unschuldigen Kegeln aus und fegt eine Neun nach der andern weg. Und läuft zu großer Form auf und kegelt dem Postverwalter, der den Sieg bereits in der Tasche zu haben glaubte, die Gans vor der Nase weg.
    Der Postverwalter sprach kein Wort mehr. Es ging nicht um den Gänsebraten, sondern um die sportliche Ehre. Schnaubend gratulierte er dem Sieger: »Sie haben Glück gehabt.«
    »Das hat mit Glück nichts zu tun«, sagte Kempenich, »man muß es können.«
    Dann zog er mit dem weißen Vogel wie ein Lohengrin nach Hause. Diesmal legte er nicht wie sonst seine Schuhe vor der Schlafzimmertür ab und schlüpfte im Dunkeln ins Bett. Diesmal weckte er seine Frau. Die geräuschvolle Gans hatte das übrigens schon vorher besorgt. Sie war nicht daran gewöhnt, nächtlicherweise als Kegelpreis bewundert und abgefühlt zu werden, sie gab ihrem Mißfallen lauten Ausdruck und flüchtete unters Bett. Auch dort fühlte sie sich nicht wohl und rumorte. An Schlafen war nicht zu denken.
    Kempenich erinnert sich, daß die Gans ein Wassertier ist, und will sie in die Waschschüssel setzen. Hedwig ist dagegen. Die Gans auch.
    Vielleicht ist es am besten, sie gleich zu schlachten. Einmal muß es ja doch geschehen. Maria wird geweckt. Aber sie kann nicht schlachten. Sie hat ein zartes Gemüt. Fliegen, die sich auf den Fliegenleim verirren, macht sie heimlich los, reinigt sie mit Wasser und setzt sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher