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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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sinken.
    »Essen Sie ruhig weiter!«, mahnt ihn Lilo, »denn Ihnen verdanke ich das.«
    Derendorf steht der Mund offen.
    »O doch, Sie haben die Leute so verängstigt, daß meine Konkurrenz ihre Geschäfte eingestellt hat. Nur ich habe mutig weitergemacht – und jetzt habe ich das Monopol. Ist das nicht fein?«
    Derendorf starrt finster auf seinen halbgeleerten Teller.
    »Sie müssen mich verstehen, Derendorf, ich habe das gar nicht gewollt, es kam von selbst. Als der Krieg zu Ende war, mußte ich meinen Schmuck verkaufen. Und als ich nichts mehr zu verkaufen hatte, tat ich es für andere. So kam ich an den Handel. Erst Schmuck und Kleider, dann Fleisch und Butter. Und als auch das nicht mehr ging, habe ich mit dem kleinen Grenzverkehr angefangen.« Sie lacht leise: »Ich habe doch sonst nichts gelernt!« Und dann lehnt sie sich wohlig zurück und betrachtet ihr Zimmer. »Ich lebe gefährlich – und das ist schön!«
    Ihre Augen richten sich in banger Erwartung auf Derendorf.
    Der nickt abwesend und macht sich über den Hummer.
    »Sie sagen ja gar nichts?«
    Derendorf steht auf, geht um den Tisch herum und zieht Lilo aus ihrem Stuhl: »Aber ich handle!«
    Und weiß nicht, daß aus dem einen Kopf am Fenster hundert geworden sind, und hundert Nasen sich an die Scheiben drücken und mit Empörung ihren Apostel sehen, der Wasser predigt und Wein trinkt. Und als strenger und unerbittlicher Landpolizeipostenführer der berüchtigten Schmugglerin den langersehnten Kuß gibt.
    Und sie immer noch umfangen hält, als schon in aufgebrachten Feiertagsgewändern die Volksmenge die Tür sprengt und in das Zimmer poltert. Der Tisch stürzt um, die Stühle fliegen, Derendorf ist umringt von seinen Feinden, verteidigt Lilo und schlägt um sich, während sich der Weihnachtsbaum über das Getümmel senkt. Aber die elektrischen Kerzen brennen ungerührt weiter, und aus der Musiktruhe strömen immer noch die frommen Choräle.
    Zwei kräftige Kerle haben Derendorf die Arme auf den Rücken gebogen, und der Volkshaufen macht auf seine Art Razzia: Tritt die Schranktüren ein, reißt die Schubladen auf, schwere Stiefel ballern holländische Konserven durch den Raum, Zigaretten wirbeln wie Konfetti durch die Luft, ein Regen von ungebrannten Kaffeebohnen geht nieder, und volle Kognakflaschen werden in die Bilder geworfen und in den Kamin, wo sie zerplatzen und blau aufleuchten.
    Derendorf ist seelisch zusammengebrochen und läßt willenlos mit sich geschehen, was der erboste Volkshaufen mit ihm veranstaltet. Hohnlachend legen sie ihm eine prunkvolle Kette von Lilos Würsten um den Hals. Garnieren die Knopflöcher seines Uniformrockes mit den ausländischen Zigaretten. Hängen ihm einen gewaltigen Schinken als Rucksack auf den Rücken. Und auch die Frau mit dem Huhn ist dabei und stülpt ihm – zum Gelächter der Menge – einen gefüllten Schmalztopf auf das Haupt.
    Dann zerren sie ihn hinaus in die Nacht und stoßen ihn vor sich her, vorbei an den festlich erleuchteten Fenstern der Heiligen Nacht, johlen und begleiten den Geächteten mit Katzenmusik auf Blechtöpfen und Kindertrompeten, und bereiten ihm einen schauerlichen Triumphzug. Und dann sind auch die Kinder zur Stelle und laufen kreischend nebenher, und aus allen Türen kommen die Bürger in Bratenröcken und harten Kragen und schwingen brennende Holzscheite und schließen sich dem Zug an. Langsam, mit feierlichem Hohn, bewegt sich die lodernde Schlange durch die Straßen. Und die Feuerglocken fallen ein und gellen durch die Nacht.
    Wo ist der Scheiterhaufen?
    ***
    So geht es nicht. Das ist keine lustige Geschichte geworden. Ein Glück, daß sie nicht wahr ist.
    Da klopft es an meine Tür, und in mein Zimmer tritt Derendorfs Geist. Er sieht das Manuskript auf meinem Schreibtisch: »Sie haben gut über die bösen Leute schreiben!«, lächelt Derendorf sein trocken-gutmütiges Lächeln und legt mir die Hand auf die Schulter: »Aber mein lieber Dichter, sind Sie denn selbst besser als die anderen? Haben Sie nicht selbst vorige Woche unverzollten Arrak gekauft? Haben Sie sich in der Straßenbahn nicht an dem Schaffner vorbeigedrückt, um zwanzig Pfennige zu sparen? Haben nicht auch Sie dem Zimmerkommissar etwas in die Tasche gesteckt? Und von Ihrer Steuererklärung wollen wir gar nicht erst reden!«
    »Halten Sie mir keine Tugendreden!«, fahre ich Derendorfs Geist an. »Sie sind mir längst widerlich geworden! Und wenn Sie nun auch mir dumm kommen, streiche ich Sie in meiner
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