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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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auseinander und schält mit plumpen Fingern aus der Holzwolle einen zerbeulten Wecker. Obenauf liegt ein Briefchen:
    »Mein lieber Sohn!
    Weil Du jetzt immer so früh aufstehn mußt bei die Polizei schikke ich dir den Wacker vom seeligen Pappa. Hoffentlich bringt er dir Glück.
    Deine Mutter.«
    Es hat zwar keiner gesehen. Und der Landstreicher ist längst über alle Berge, aber den Brief hat er im Graben gelassen und der Wecker wird Ortsgespräch:
    Der Derendorf, dat is ene Bangezippel! –
    Grad was ich sag! –
    Und wie drömelig der jetzt aussieht. –
    Der hat ausgespielt! –
    Wozu hat man denn eine Polizei? –
    Die Leute fahren herum und brechen in wieherndes Gelächter aus.
    Denn die Straße herab kommt müden Schrittes der Wachtmeister Willi Derendorf von seiner Runde, und hinter ihm her zieht eine singende Kinderschar: »Derendorf, der Höllenschreck, der läuft vor einem Wecker weg, habuh, habuh – Höllenschreck – Wecker weg –, Höllenschreck – Wecker weg!«
    Derendorf geht immer schneller und rettet sich in die Gendarmeriestation.
    »Frohe Weihnachten!«, wünscht Neuß und packt auf dem Schreibtisch seine Sachen zusammen.
    »Frohe Weihnachten!«, sagt auch Gladbach und macht es sich mit Wolldecken auf seinem Sitz bequem, denn er hat bis Mitternacht Bereitschaftsdienst.
    »Frohe Weihnachten!« Und Derendorf geht hinaus und steigt die Stiegen zu seiner Kammer empor.
    Oben ist er geborgen und fühlt sich privat. Er hängt seine Jacke an den Nagel, zieht aus der Aktentasche ein schmales Päckchen Lametta und schmückt damit bedachtsam sein winziges Tannenbäumchen. Zieht durch die Zweige eine glitzernde Kette von ineinander gehakten Heftklammern, befestigt drei Kerzen mit Draht an den Ästchen und krönt das Ganze mit einem Stern, den er aus Stanniol geschnitten hat. – Eine Schönheit ist der Baum nicht, aber Derendorf übersieht es aus lauter Stolz auf seine Findigkeit. Außerdem hat er Geld gespart, und das Geld braucht er für seine Gäste.
    Er breitet über den Tisch ein frisch gebügeltes Laken und deckt für vier Personen, mit Tellern, die nicht zueinander passen, Blechlöffeln und gestanzten Gabeln. Er legt die Bierflaschen in die verschneite Dachrinne, und vorsichtig noch eine Weinflasche dazu. Schneidet Wurst in angemessen dünne Blättchen und säbelt Schnitten vom Brot. Er pustet die Krümel vom Tisch, sieht sie plötzlich auf dem Boden und kehrt sie mit der Hand wieder auf. Pflückt vom spärlichen Baum kleine Ästchen und dekoriert die mageren Teller. Legt zu jedem noch eine Zigarre – er hat die guten gekauft –, an den Ehrenplatz aber einen Lippenstift (rot) in Messinghülse. Zu guter Letzt zieht er eine andere Jacke an, stellt einen Napfkuchen, den er nebenan beim Bäcker gekauft hat, in die Mitte des Tisches und legt die Streichhölzer bereit für den Weihnachtsbaum. Und dann beginnt er zu warten.
    Im Zimmer ist es dunkel geworden, und von der Turmuhr der katholischen Kirche schlägt es sechsmal. Demnach ist es zwei Minuten vor.
    Dann bimmelt das Glöckchen der evangelischen Kapelle sechsmal. Jetzt ist es eine Minute nach. Denn die beiden Kirchen haben sich noch immer nicht einigen können.
    Derendorf hat sich auf die Bettkante gesetzt und sieht nur das ungewisse Viereck seines Fensters.
    Unten klopft jemand an die Tür.
    »Herein!«, ruft Derendorf fröhlich die Stiegen hinab und zündet hastig sämtliche drei Kerzen an.
    Die Treppe herauf schlurft ein altes Mütterchen.
    »Guten Abend«, sagt Derendorf befremdet.
    »Fröhliche Christnacht!«, entgegnet das Mütterchen. »Unser Flüchtlingsobmann läßt bestellen, er könnte der Einladung nicht folgen, er hätte – er müßte –«, sie sieht Derendorf hilflos an, »nun weiß ich es nicht mehr.« – Und das Mütterchen schlurft wieder die Treppe hinab. Derendorf hört, wie sie zittrig die Tür schließt.
    Er entfernt eines der Gedecke und bläst die Kerzen aus. Setzt sich wieder auf die Bettkante und wartet weiter.
    Wieder klopft es unten an die Tür.
    »Hereinmarschiert!« Derendorf zündet den Baum an.
    Aus dem Treppenschacht steigt ein flachsköpfiger Junge und bleibt vor der obersten Stufe stehen und leiert sein Sprüchlein: »Der Onkel Tierarzt läßt bestellen, daß er heut nicht kommen könnte, weil er noch zu einer Kuh muß.«
    Leise knistern die Kerzen. – »Warum muß er denn zu einer Kuh?«, fragt ärgerlich Derendorf und entfernt ein weiteres Gedeck.
    »Weil er doch nicht kommen kann!«, erklärt
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