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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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logisch der Flachskopf. Die kindlichen Schritte stolpern vorsichtig die Treppe hinab. Dann ist es wieder still.
    Derendorf ist auf der Bettkante eingenickt. Siebenmal schlägt die katholische Turmuhr. Siebenmal bimmelt das evangelisch-lutherische Glöckchen. Es klopft.
    Derendorf fährt hoch und entzündet ein Streichholz. Der Postbote steht im Zimmer und reicht ihm ein Telegramm.
    Als Derendorf wieder allein ist, reißt er es auf:
    »Bin geschäftlich verhindert wünsche frohe Weihnachten
    Ihre Lilo.«
    Wieso geschäftlich?
    Er nimmt die letzten beiden Gedecke, stellt sie aufeinander und räumt den Tisch ab.
    Er geht ans Fenster und wischt sich ein ovales Guckloch in die Eisschicht. Noch immer fällt lautlos der Schnee, und die Flocken treiben weißleuchtend an Fenstern vorbei, aus denen warmes Licht dringt. Hinter den Gardinen stehen die Lichtpyramiden der Weihnachtsbäume, und irgendwo singen Kinder im Chor »Stille Nacht, heilige Nacht …«
    Er möchte zu seiner Mutter; ihm fällt ein, daß er auch einmal klein war und ebenso gesungen hat.
    Plötzlich hat er das Gefühl, als wenn jemand mit ihm im Zimmer sei. Er wendet sich um und sieht, schön und strahlend wie ein Weihnachtsengel, im verschneiten Pelzmantel: Lilo.
    Wo kommt das Licht her? denkt logisch Derendorf und stellt fest, daß es seine Taschenlampe ist.
    »Ich habe es doch noch einrichten können!«, sagt Lilo, und ihr Atem ist im kalten Zimmer sichtbar.
    Derendorf tastet durch den Raum: »Wo habe ich denn nur die Streichhölzer für unseren Baum?«
    Lilo lächelt geheimnisvoll: »Unser Weihnachten ist nicht hier!« Sie schreitet auf ihn zu und nimmt ihn sanft beim Arm und zieht ihn aus dem Zimmer, die Stiegen hinab, auf die Straße.
    Die Häuser weichen zurück, und Lilo geht noch immer vor ihm. Derendorf folgt und hört nicht seine eigenen Schritte. Das ist der neue Schnee. Vor ihnen ist eine Wand. Lilo schreitet hindurch, und dann ist es dunkel um die beiden. Eine Kette klirrt. Eine Kuh sagt blöde »Muuh!« Jetzt gerät es aus dem Zusammenhang, denkt Derendorf, und er weiß, daß er träumt. Ein Riegel knirscht. Lilo ist nicht mehr bei ihm. »Hallo!«, ruft er, und die Worte gehen durch einen großen Raum.
    Rasselnd wird der eiserne Vorhang eines Kamins hochgezogen; das flackernde Licht gelbbrennender Scheite fällt auf einen dicken Teppich.
    Mit einem »knips« erstrahlt im Hintergrund ein übergroßer Weihnachtsbaum, dessen elektrische Kerzen sich in Kugeln und Flitter spiegeln. Aus einer Musiktruhe dringt die symphonische Weihnachtsmusik eines amerikanischen Senders. Da weiß Derendorf, daß es kein Traum ist.
    Er sieht sich um in der bedrückenden Eleganz des Raumes mit den schweren Möbeln und der prunkvoll gedeckten Tafel: »Gestatten, wo sind wir?«
    »Bei mir!« Lilo läßt ihren Mantel von den Schultern gleiten.
    »Ich denke –«
    Lilo lacht leise: »Das Dachzimmer? Ach, das ist nur meine offizielle Adresse. Aber dies hier ist meine Wohnung.« Und führt den Fassungslosen an den Gabentisch.
    Da liegt die langersehnte Armbanduhr! Eine köstliche Pfeife mit Tabaksbeutel und Büchschen mit englischer Aufschrift! Ein neues Halsband für Max! Eine schweinslederne Tasche für die vielen Akten! Und ein silberner Stift mit endloser Mine zum Protokollieren.
    Und dahinter steht Lilo, die so schön ist!
    Sie zieht ihn vom Gabentisch weg zur Tafel und drückt ihn in einen Stuhl. Seine Augen weiten sich über Hummer mit Mayonnaise, Rehsteak mit Cumberlandsoße, gebratenen Hähnchen mit dunklen Beeren und vielerlei Delikatessen auf Silber und Kristall!
    Aus einer ehrwürdigen Flasche gießt sie ihm funkelnden Rotwein ins Glas. Aber der arme, hungrige Derendorf ist schon beim Essen. Und ißt, wie er noch nie im Leben gegessen hat, weiß nichts mehr von der Welt, sondern holt nach, was das Leben ihm bisher versagte.
    Und sieht nicht, wie am dunklen Fenster ein Kopf erscheint, sich die Nase platt drückt und zur Fratze wird. Und auch Lilo hat es nicht bemerkt, sondern betrachtet glückselig ihren Derendorf.
    »Ich verdiene nämlich gut«, sagt sie.
    Derendorf staunt und langt sich ein Stückchen Geflügel.
    »Ein hohes Risiko rechtfertigt auch hohen Gewinn, nicht wahr?« sagt sie.
    Derendorf zieht die Stirne kraus und löffelt sich Mayonnaise auf den Teller.
    »Oder ist es etwa kein Risiko, wenn nicht nur die Grenzpolizei hinter mir her ist, sondern am gleichen Ort auch ein unerbittlicher Wachtmeister wütet?«
    Derendorf läßt die Hühnerkeule
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