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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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zwölf – bitte, wann darf ich wecken?«
    Eine zweiflügelige, weißlackierte Tür wird aufgerissen, Frau Hedwig blickt in ein zweifenstriges Zimmer hinein und wird blaß, dann schießt ihr das Blut in die Wangen. Der Ober beteuert: Es sei nichts anderes frei, die gnädige Frau möge entschuldigen, und es sei ja nur für eine Nacht, und der Herr Gemahl habe gemeint –
    Die gnädige Frau ist nicht mehr vorhanden. Sie ist schon die Treppe hinunter, hat unten den Portier beinahe über den Haufen gerannt, ist auf die Straße gelaufen und im Dunkel der Nacht verschwunden.
    Oben vor der Zimmertür steht der verlassene Ritter und spielt den beleidigten Ehemann. Infolgedessen läuft er nicht hinter der Flüchtigen her, sondern begnügt sich mit einem schmerzlichen Lächeln und zieht sich vor den spöttischen Augen des Kellners hastig in sein einsames zweispänniges Gemach zurück. –
    Der Kanzlei Vorsteher Kempenich befindet sich auf dem Höhepunkt seiner nächtlichen Studien.
    Zunächst war er irgendwo gewesen, wo es sehr vornehm war. Die Garderobe hatte eine Mark gekostet, auf dem Boden lagen dicke Teppiche, und er war froh, daß er seinen Gehrock anhatte. Aber es wurde nur getanzt, und Tanzen war eigentlich nichts Schlimmes, tanzen tat man auch in Weinheim, nur viel lustiger. Hier schlurften sie alle müde über das Parkett, als wenn ihnen jede Bewegung zuviel sei, und machten dazu todernste und beleidigte Gesichter. Außerdem wurde die Tanzfläche durch Scheinwerfer bengalisch beleuchtet, und die Gesichter erschienen abwechselnd blutigrot, schwefelgelb und giftblau. Es war gewiß sehr schön und sehr vornehm. Teuer war es auch. Aber solches zu sehen war Kempenich nicht ausgezogen. Es war durchaus nicht das, wovon sie auf der Kegelbahn redeten.
    Dann saß er irgendwo anders, in einem kleinen Raum, der sich Kabarett nannte und aus einem Dutzend kleiner Tische bestand. Auf der Bühne fuchtelte ein weibliches Wesen herum und gab Laute von sich, die als Singen zu unmelodisch und als Sprechen zu unverständlich waren. Infolgedessen war es eine Diseuse. Vielleicht ist es mehr was zum Sehen, denkt Kempenich und holt seinen ererbten Feldstecher aus dem Lederkasten. Aber soviel er an dem Teleskop auch schraubt und dreht: Es ist eigentlich nur halb so schlimm und halb so schön, und er kann trotz achtfacher Vergrößerung nichts feststellen, worüber er sich von Herzen entrüsten könnte. Dann kommt jemand und erzählt Witze am laufenden Band. Kempenich freut sich, daß er einige davon versteht. Manche sind auch etwas eindeutig. Aber auf der Kegelbahn erzählen sie sich noch ganz andere.
    Übrigens hatte er auch ein Erlebnis: Eine Dame mit gemalten Lippen will sich ausgerechnet an seinen Tisch setzen. »Der Stuhl ist besetzt«, brummt Kempenich und stellt seinen Koffer darauf. »Der auch.« Belegt ihn mit Hutschachtel und Reisedecke und bestellt aus Verlegenheit eine neue Flasche.
    Dann ist er wieder wo anders, in einer kleinen verrauchten Bude. Die Lampen sind mit rotem Seidenpapier umwickelt und versuchen lasterhaft auszusehen. Am Klavier hämmert ein Jüngling, dem eine müde Zigarette aus dem Mund hängt, und ein verschwommenes Mädchen im Babykleid singt etwas Rührseliges von Kinderland – Herz und Hand. Zwei oder drei Paare tanzen. Aus den Nischen kommt Lachen und Quietschen. Aber sie sind zugezogen, man kann kein bißchen was sehen. Kempenichs Wissensdrang kommt auch hier nicht auf die Kosten. Er langweilt sich.
    »Na Kleiner?«
    »Wieso Kleiner?« schnauzt Kempenich und bestellt sich wütend eine Flasche Sekt. Er ist kein Kleiner!
    Nur seine Zunge geht schon etwas schwer.
    Schließlich ist er wieder auf der Straße. Es ist Nebel. Man sieht nur ungewisse Lichter. Menschen und Wagen gleiten wie Schatten vorüber. Der Kanzleivorsteher ist voll des süßen Weines und weiß nicht woher und wohin. Er hat eine Litfaßsäule erwischt, und mit Handkoffer, Feldstecher, Reisedecke, Mantel, Schirm und Hutschachtel tastet er hoffnungslos um die Säule und kann das Ende nicht finden. Vorübergehende lachen. Aber niemand erbarmt sich seiner. – Endlich erlöst ihn eine mitleidvolle Seele.
    ***
    Frau Hedwig ist vom Hotel Waldfrieden schnurstracks zum Bahnhof gelaufen.
    Sie hätte sich nicht zu beeilen brauchen. Der erste Zug nach Weinheim fährt sieben Uhr siebenundvierzig. Sie ist völlig verstört und setzt sich in den Wartesaal. Jetzt hat sie Zeit, über ihren Roman nachzudenken. Viele Stunden Zeit. Aber sie ist unfähig
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