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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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die viereckigen Erdinseln auf dem Gehsteig waren noch vorhanden. Wegen der Lastwagen, die hier ab und zu mal durchfuhren, waren sie gefällt worden, ohne viel Trara. Es war hier zwar noch niemals ein Fußgänger zu Schaden gekommen, aber wer will der erste sein? Für das Leben eines einzigen Menschen gibt man doch tausend Bäume hin! – Es existierten noch Ansichtskarten, auf denen die Straße mit den schon von jeher alten Bäumen zu sehen war. Eine schattige Straße, vor jedem Haus eine weiße Bank, auf der alte Männer sitzen und Pfeife rauchen.

    Jetzt eben klapperte ein Lieferwagen um die Kurve, er hatte altes Bauernmobiliar geladen, Schränke, Schatullen und Truhen. Strikke hielten die Sachen zusammen. Ein holländischer Lieferwagen war das, mit gelbem Nummernschild.
    Eine Bäckerei, Schlachterei Tense mit einem fröhlichen Schwein auf einer Reklametafel, Friseur Hacker und das Kaufhaus Weber, in dem es offenbar alles zu kaufen gab, was Menschheit zum Leben benötigt. In den Schaufenstern saßen Osterhasen zwischen Konfirmandenpuppen und einem vollständig ausstaffierten Brautpaar. Auch auf Gartenmöbeln, die zu dieser Jahreszeit angeboten wurden, saßen Osterhasen, und zwischen grüner Papierwolle lagen bunte Eier ausgestreut, als wenn das eine gute Saat ist, die schon noch aufgehen wird.
    Osterhasen aus Pappmache mit abschraubbarem Kopf. Gelbe Küken mit Pappschnabel und Drahtbeinen. Die Schaufenster wurden gerade von zwei Lehrmädchen abgeräumt, sie holten Schulranzen aus dem Inneren des Ladens und stapelten sie gefällig ins Fenster, dann steckten sie Zuckertüten dazu in allen Farben, sehr kleine und sehr große.«Alles für den Schulanfang!»stand auf einem selbstgemalten Schild, das einer Schiefertafel nachempfunden war.

    Direkt neben dem Kaufhaus war etwas zurück noch ein zweites Geschäft, das hieß auch Weber, und zwar Ludwig Weber. Ein altes umgebautes Bauernhaus war das. Auf den Rechnungen, die hier geschrieben wurden, war das«Ludwig»kursiv gedruckt, damit man sich das endlich mal merkt!

    Die Besitzer der beiden Kaufhäuser waren verfeindete Vettern. Wilhelm Weber, auch«großer Weber»genannt oder«Weh-weh», war begünstigt durch die Lage an der Hauptstraße, was Ende des Krieges, als die Engländer einrückten und die Polen plündernd von Haus zu Haus zogen, kein Vorteil gewesen war. Bei Ludwig Weber, dem«kleinen Weber»- konnte man handeln, das wußten die Bauern, aber dessen Angebot war stark eingeschränkt:«Gurkengläser hebbt wi nich…», hieß es, und dann mußten die Bauern eben doch zu Weh-Weh hinübergehen, wo’s keine Prozente gab und wo zickig bedient wurde, weil die Verkäuferinnen es mitgekriegt hatten, daß man von nebenan kam.

    Matthias dachte, daß er sich ja eigentlich auch eine Schultüte kaufen müßte, er war ja ebenfalls ein Schulanfänger. Dreißig Jahre alt und noch einmal ganz von vorn beginnen.
    Am Ende der Straße stand ein behäbiges Landgasthaus. Nach dem Krieg war das die Kommandantur gewesen, es existierten noch Fotos davon: damals, als die beiden Jungen verhaftet wurden, weil sie im Wald mit Handgranaten gespielt hatten. Auf«Werwolf»hatte die Anklage gelautet, und sie waren an die Wand gestellt worden, was Wellen geschlagen hatte bis ins alliierte Hauptquartier. Nun gab es hier Frühlingssuppe zu essen und Braten mit viel Soße.

    Gleich neben dem Gasthaus stand auf einem verbogenen Wegweiser:«Sassenholz 13 km», und darunter, etwas kleiner:«Klein-Wense 9 km». Klein-Wense, das war der Ort, in den sich Matthias, vom Schicksal unbemerkt, verdrücken wollte.«In Deckung gehen»,«sich abmelden», wie er es im Seminar verkündet hatte, und seine Freunde hatten es überhaupt nicht verstanden, wieso sich eine so flotte Type aufs platte Land begibt.
    Aber sämtliche Professoren, die er auf der Hochschule um Rat gebeten hatte, sollte er aufs Land gehen oder in die Stadt?, waren in ihrer Verlobungszeit dort umhergeschweift, den Schmeil-Fitchen unterm Arm und die Laute auf dem Rücken: Im August, wenn die Heide blüht, alles lila! Und das hübsche Wollgras, und: Mit Porst kann man Ostereier färben!
    «Das Eischetal ist landschaftlich reizvoll», hatte es geheißen,«da kommen Sie in eine wunderschöne Gegend!»
    Der alte Petersen hatte gar sein Fotoalbum hervorgekramt, Einband handgewebt, von einer sauber gedrehten Wollkordel zusammengehalten – Holzperle unten dran – und zwischen den Seiten Pergamentpapier mit Spinnennetzmuster versehen.
    «Mit Evchen am
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