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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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Wilseder Berg.»
    Auch die Zimmerwirtin hatte nur Positives zu berichten gewußt:«Da unten backen die Leute ihr Brot ja noch selber! Und dieser wunderbare Heidehonig, und: Buchweizengrütze!»Die wußte, daß dort nette Leute wohnten, sogenannte Heidjer…«Wenn die Sonne dann so untergeht und sich die Heidschnucken um den Schäfer geschart durch die Fluren tummeln»- Buchweizen sei von den Nazis nicht«bewirtschaftet»gewesen, den hatte es ohne Marken gegeben. Mit Sirup und angebratenem Speck!
    Über die Heide geht mein Gedenken,
Rosemarie…
All meine Liebe will ich dir schenken,
Rosemarie…
    Das«Grüne Buch»von Hermann Löns hatte sie ihm geschenkt, eine Ausgabe von 1916, mit getrocknetem Heidekrautbüschel darin und Rostflecken von den vergammelten Heftklammern. Und eine Radfahrerlandkarte aus dem Jahr 1910: Kreuzthal und Umgebung. Ein Hünengrab war darauf eingezeichnet und eine tausendjährige Eiche.«Moore, Wälder, von einem Flüßchen namens Eische durchflossen…»
    «Ich an Ihrer Stelle würde aufs Land gehen», hatten die Professoren gesagt: wenn sie noch einmal vor die Wahl gestellt würden – für sie käm’ nur die Lüneburger Heide in Frage. Ostfriesland nicht, ehrlich gesagt – um Gottes willen -, aber die Lüneburger Heide?«Grüßen Sie mir das Eischetal!»

    Die Freunde in der Mensa, die sich mit ihren Motorrollern vorwiegend an die Weser versetzen ließen, nach Holzminden, Höxter oder Hameln – von da aus hat man’s in den Süden nicht so weit-, hatten ihn«Heideschulmeister Uwe Karsten»genannt. – Für die kamen nur zweizügige Mittelpunktschulen in Frage. Städte, wo man ins Kino gehen kann und tanzen, ohne jedesmal eine Weltreise antreten zu müssen.

    Außer Heide, Moor und Wälder hatte die Gegend, für die sich Matthias entschieden hatte, nichts zu bieten, aber eben das war für einen Neuanfang genau das richtige. Ganz von vorn beginnen, Höhlenkinder im Heimlichen Grund – so etwas stellte Matthias sich vor, Kräuter suchen und Pilze, und morgens kommen die Kinder in die Klasse, einfache, natürliche Menschenkinder, und man setzt sich zu ihnen und sagt ihnen, wie’s in der Welt zugeht.

    Matthias fuhr an einer stillgelegten Sägerei entlang, mit Teich davor, auf dem Enten schwammen. Dann ging es die Landstraße bergauf, langsam, aber stetig, linker Hand von alters her der sandige«Sommerweg»für Pferd und Wagen. Kein Schild kündete davon, daß dies die Todesstraße gewesen war, 1945. Die Bürger von Kreuzthal hatten zwar Türen und Fenster geschlossen, als die Blaugestreiften vorüberschlurften, von einem KZ ins andere, Vorhänge zu, aber gesehen hatten sie doch alles.
    «Ich werde hier irgendwie zurechtkommen», dachte Matthias und legte den ersten Gang ein. Ein altes Lehrerhaus stellte er sich vor, von Wein berankt, mit großem Garten. Jeden Apfel einzeln pflücken, mit einem Tuch polieren und auf Borde legen im Keller, für den Winter, wenn draußen der Schnee klafterhoch liegt. In einem solchen Haus alt werden. Mit achtzig Jahren dann, eine bestickte Mütze auf dem Kopf, die lange Pfeife rauchen und lächelnd auf das Leben zurückblicken: Es hatte alles seinen Sinn gehabt. Eine alte Fotografie von Mörike hatte er vor Augen, wenn er darüber nachdachte. Er trat in die Pedale. Der Wind blies ihm entgegen, und es dauerte seine Zeit, bis die Anhöhe geschafft war. Hier stand dann auch ganz richtig die Mühle, von der der Lottomann gesprochen hatte. Sie machte einen verlotterten Eindruck. In ihr war schon lange kein Korn mehr gemahlen worden. Es war eine holländische Mühle. Die Schieferplatten der Haube waren zum Teil abgefallen, und ein Flügel war abgebrochen, die anderen drei ragten nur noch als zersplitterte Balken in die Luft. Wie eine Fliege, der man einen Flügel ausgerissen hat, dachte Matthias. Das Ding renovieren und dann ein Café daraus machen, für Radfahrer, die hier innehalten, am Wendepunkt ihres Lebens.«So was muß doch wieder hinzukriegen sein?»

    Vom Mühlberg aus gab es eine pathetische Aussicht über das Urstromtal. Matthias lehnte sich auf den Lenker und guckte in die Ferne. Wälder und sanfte Matten waren zu einer idealen Parklandschaft zusammengewachsen, in der sich die Eische schlängelte. Pflügende Trecker als Riesenspielzeug darin herumkriechend. Die Sonne schickte zwischen zwei Wolken hindurch einen Scheinwerferstrahl auf die frisch begrünte Landschaft, zog dann aber doch die Luke wieder zu. Jetzt sprühte Wind einen feinen Regen über die
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