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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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Höllenmaschine, und der sichere Erdboden verschwand aus meinem Blickfeld.
    Die Maschine legte sich schräg in die Luft und drehte in einer Art Power-Slide ab, der auf Außenstehende sicherlich unterhaltsam wirkte. Dann konnte ich plötzlich die Erde wieder sehen, allerdings nicht unter mir, wo sie hingehörte, sondern vor mir. Zwischen Balke und dem breiten Kreuz des Piloten, dessen Gesicht ich noch nicht einmal gesehen hatte, tauchte die chirurgische Klinik auf, und ich war sicher, dass wir im nächsten Augenblick geradewegs hineindonnern würden. Aber dann verschwand das Gebäude wieder, der Neckar blieb zurück, Wolkenfetzen rasten mit zunehmender Geschwindigkeit an uns vorbei. Kurz erblickte ich noch die weitläufigen Anlagen der amerikanischen Kasernen. Dann sah ich lieber nicht mehr hinaus.
    Es war offensichtlich, dass auch Vangelis Angst hatte, aber das tröstete mich kein bisschen. Ich schloss die Augen und lauschte dem knappen und unverständlichen Dialog des Piloten mit seiner Bodenstation oder wie immer die das nennen mochten. Offenbar ging es um einen geeigneten Landeplatz in der Nähe des Freiburger Hauptbahnhofs. Es schien nicht einfach zu sein.
    »Wie schnell fliegt eigentlich so eine Kiste?«, schrie ich Vangelis an, als ich es wagte, die Augen wieder zu öffnen.
    »Über zweihundertfünfzig Klamotten«, antwortete Balke an ihrer Stelle. »In spätestens dreißig Minuten sind wir da!«
    Ich riskierte einen Blick aus dem Fenster. Unten verschwand eben Karlsruhe hinter uns mit seinem Fächergrundriss und dem Barockschloss im Zentrum. Einen Augenblick meinte ich am Rand des Stadtgartens das Polizeipräsidium zu entdecken, das »Bullenkloster«, meinen ehemaligen Arbeitsplatz. Es hatte aufgehört zu regnen. Noch hingen schwere Wolken am Himmel, aber im Westen wurde es heller. Immer wieder wurde der Hubschrauber von einer Bö gepackt und schlingerte unter meinem Hintern herum, als wollte er mich abschütteln.
    »Sie sollten sich besser anschnallen!«, brüllte Balke. »Das ist Vorschrift!«
    »Hilft das irgendwas, wenn wir abstürzen?«
    Er fand das auch noch lustig. »Natürlich nicht«, lachte er. »Aber man kann später die Leichenteile besser zuordnen.«
    Es gibt eine Art von Humor, die ich nicht schätze. Selbst Vangelis grinste mit starrem Blick vor sich hin. Der Pilot sah kurz nach hinten und sagte etwas zu Balke.
    »Tüten sind unterm Sitz!«, schrie der gut gelaunt. »Nur für alle Fälle, sagt er. Aber man hat ja schon Pferde … Ich will sagen, man weiß ja nie.«
    Nein, diesen Gefallen würde ich ihnen nicht tun. Um mich abzulenken, zog ich meine Pistole aus dem Hosenbund und ließ das Magazin herausschnappen. Es war voll, die Patronen saßen, wie sie zu sitzen hatten. Ich drückte das Magazin in den Griff zurück. Durchgeladen hatte ich vor drei Stunden schon.
    »Offenburg!« Aufgeregt zeigte Balke irgendwohin. »Und sehen Sie da drüben, das muss das Straßburger Münster sein!«
    Ich habe mich in meinem Leben nie weniger für Kirchen interessiert als in diesem Augenblick.
    »Da unten!«, schrie er wenig später, »das muss er sein! Der Zug! Der ICE! Da unten fährt er!« Er fragte den Piloten etwas. »Fünf Minuten noch, dann sind wir da. Wir können nicht beim Bahnhof landen. Aber es wartet ein Streifenwagen auf uns. Der bringt uns hin.«
    »Und wie lange braucht der Zug noch?«
    »Zehn Minuten mindestens. Wir kriegen ihn locker. Außerdem wird er auf uns warten. Das hat Rübe inzwischen organisiert.«
    Wieder packte ein Windstoß den Hubschrauber. Er sackte einige Meter ab, schüttelte sich wie ein träger, nasser Hund, fing sich wieder. Meine Hand fuhr unter den Sitz. Aber es ging vorbei, ich konnte die Tüte lassen, wo sie war. Vangelis beobachtete mich. Aber es war kein Spott in ihrem Blick. Ich lehnte mich zurück, klammerte mich am Sitz fest und schloss die Augen. Dann ging es auf einmal abwärts wie im Expresslift. Die Maschine kippte vornüber, ich hatte das Gefühl, aus dem Sitz zu schweben, wenn der Gurt mich nicht festhalten würde. Balke jubelte. Und endlich, nach vielen endlosen Sekunden, hatte die Schwerkraft mich wieder. Der Lärm wurde schwächer, Balke riss die Tür auf.
    »Los!«, brüllte er. »Viel Zeit haben wir nicht!«
    Vangelis packte mich am Arm und zog mich gebückt vom Hubschrauber weg. Ich torkelte hinter ihr her auf einen silberfarbenen Mercedes Kombi zu, der mit blinkenden Blaulichtern und offenen Türen bereitstand. Ein paar Neugierige beobachteten uns mit
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