Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Strecke stieg an, wurde kurvig. Einmal fuhren wir mitten durch einen am Hang liegenden Ort. Dann ein langer Tunnel.
    Kein Krahl, kein Professor. Mir wurde schon wieder übel.
    Und zu allem Elend hatte ich Idiot ein Verhältnis mit der Frau meines Chefs. Und als ob das allein nicht schon schlimm genug wäre, liebte sie mich nun auch noch. Ich hätte schreien können. Ich schrie wirklich, denn der Zug machte einen Schlenker, eine schlanke Brünette vor mir verlor das Gleichgewicht, stürzte auf mich, und zusammen setzten wir uns auf den Schoß einer zarten älteren Dame, die umgehend begann, mit ihrer gut gefüllten Handtasche auf mich einzudreschen.
    Nach einigen Verrenkungen standen wir wieder auf den Beinen und entschuldigten uns. Die Frau lächelte mich verschämt an und sah abwechselnd in meine Augen und auf meine Füße. Bei günstigerer Gelegenheit hätte ich sie vielleicht zu einem Wiedergutmachungskaffee eingeladen.
    Noch zehn Minuten. Und schon wieder das Handy.
    »Chef, soll ich die Notbremse ziehen?«, schrie Balke.
    »Können Sie sich das denn leisten? Finanziell, meine ich?«
    Maulend legte er auf. Aber er hatte ja Recht. Bis Basel würden wir nicht einmal die Hälfte dieses Zuges überprüfen können. Und dabei liefen wir in diesem Gewühl auch noch ständig Gefahr, die Gesuchten zu übersehen. Inzwischen erhoben sich die ersten Passagiere, begannen, ihre Jacken und Mäntel anzuziehen, ihr Gepäck zu richten. Vor den Türen wurde es noch enger.
    Eine Lautsprecherdurchsage kündigte den nächsten Halt an: Basel, Badischer Bahnhof. Die letzte Station auf deutschem Boden. Ein Ruck durchfuhr den Zug, er bremste. Das Gelände öffnete sich, rechts und links viele parallel verlaufende Gleise. Ein Verschiebebahnhof. Im Westen der Grenzübergang der Autobahn.
    Kein Krahl, kein Professor.
    Krahl würde ich vermutlich nicht einmal erkennen, wenn er mir gegenüberstand. Aber Grotheer, den hatte ich doch oft genug gesehen und gesprochen. Sollte er sich auch verkleidet haben? Wenn ja, wie? Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, eine rasend schnelle Folge von Bildern. Der junge Mann, der vorhin Patrick Grotheers Sachen in den Keller geschleppt hatte, schwarze Lederanzüge, eine Sonnenbrille trotz des trüben Wetters …
    Ohne jede Rücksicht kämpfte ich mich zurück. Der Zug hielt. Eine Minute hatte ich noch. Zur Not würde ich eben in die Schweiz mitfahren. Endlich sah ich ihn, den Kerl mit der Sonnenbrille. Ich beugte mich vor und riss ihm die Mütze und die Kopfhörer herunter, die Sonnenbrille. In panischem Schrecken starrte er mich an.
    Er war mindestens zwanzig Jahre jünger als Grotheer.
    Augenblicke später standen wir schwer atmend und bodenlos frustriert im Freien und sahen davoneilenden Mitreisenden nach, die versuchten, einen Anschlusszug zu erreichen. Inzwischen hatten wir zehn Minuten Verspätung.
    »Wat nu?«, fragte Balke und kickte eine zerknüllte Marlboro-Schachtel auf die Gleise. Vangelis kaute schweigend auf der Unterlippe.
    »Nichts. Aus. Endstation«, fauchte ich wütend und wünschte, ich hätte auch etwas, wogegen ich treten könnte. »Ich hoffe, die Schweizer sind auf Zack und übernehmen den Zug.«
    »Letztes Jahr hatten wir mal ’ne Fahndung, da saß eine Frau im Eurocity nach Straßburg. Bis die Franzosen reagiert haben, war sie im Flieger nach Venezuela.«
    »Wir haben getan, was wir konnten«, seufzte ich.
    »Soll er ihn doch kaltmachen!«, knurrte Balke. »Er hat’s so gewollt! Wer hat ihn gezwungen zu türmen? Wir ja wohl nicht, oder?«
    Die Türen begannen zu fiepen und schlossen sich zischend. Vangelis und Balke sahen mich an und erwarteten eine sinnvolle Anweisung.
    »Wir fahren zurück«, entschied ich. »Ende der Veranstaltung.«
    »Gibt’s hier irgendwo Kaffee?«, fragte Balke und sah sich um.
     
    Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als wir in Heidelberg deprimiert aus dem Intercity kletterten. Eine dichte Wolkendecke hing tief über der Stadt. Die vierhundert Meter zur Polizeidirektion gingen wir schweigend zu Fuß.
    Die Rückfahrt war schweigsam verlaufen. Jeder hatte seinen Gedanken nachgehangen. Ich hatte abwechselnd an Krahl und an Liebekinds Frau gedacht, ohne dabei irgendwelche Fortschritte zu erzielen. Mein Kopf war taub und wirr, meine Laune gemeingefährlich. Hin und wieder hatte ein Handy gebimmelt, dreimal hatte jemand irgendwo Grotheer und zweimal Krahl aufgespürt. Natürlich war es jedes Mal falscher Alarm gewesen.
    Die einzige Neuigkeit war,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher