Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Hand aus dem Jackett und hob sie demonstrativ hoch. Vorsichtig nahm er seine Waffe herunter und legte sie neben sich auf das rote Sofa. Grotheer starrte auf den Tisch mit der Miene eines zum Tode Verurteilten, dessen Tag gekommen ist.
    Helen Gardener stellte ein viertes Gedeck auf den Tisch und nötigte mich auf den einzigen freien Sessel. Sie murmelte die ganze Zeit wirr vor sich hin und schien nichts zu begreifen. Eine Katze strich mir um die Beine. Jemand schien gründlich gelüftet zu haben. Jetzt waren die Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen.
    »Was soll das?«, fragte ich, als ich saß. »Was haben Sie vor?«
    »Ein Ende machen«, erwiderte Krahl müde. »Es ist Zeit.« Die Muskeln um seinen Mund waren in ständiger Bewegung. Seine Augen immerzu auf der Suche nach etwas, was sie nicht fanden.
    »Welche Möglichkeit gibt es, Sie umzustimmen?«
    Er lachte kalt.
    Ich hatte nicht die geringste Angst um mich. Er war ja nicht verrückt. Oder zumindest nicht so sehr, wahllos Menschen zu töten. Er verfolgte ein Ziel, dieses Ziel hieß Rache, und er schien es nicht eilig zu haben damit. Um Zeit zu schinden, nahm ich einige Bissen von dem merkwürdigen Eintopf, den die Frau des Hauses mir auf den Teller geladen hatte. Ich hoffte, dass er nicht aus Katzenfutter bestand. Es schmeckte nicht gar so schrecklich, wie es aussah. Ohne mich anzusehen, schenkte sie mir Wein ein. Es war ein guter Spätburgunder aus der Ortenau, den vielleicht Grotheer als Gastgeschenk mitgebracht hatte.
    Helen Gardener setzte sich neben Grotheer und legte ihre Hand auf seine.
    »Es ist so schön, dass du da bist«, sagte sie zärtlich, und bei ihrem verwirrten Lächeln konnte man ahnen, dass sie vor langer Zeit einmal eine schöne, charmante Frau gewesen war. Für sie war Grotheer zu Besuch, zusammen mit zwei Fremden, die sie nicht weiter interessierten. Für sie war dies ein Fest. Der Mann, auf den sie so lange gewartet hatte, war endlich zurückgekommen.
    »Vergessen Sie Ihre Pistole«, sagte Krahl unvermittelt zu mir. »Sie werden niemals schnell genug sein.«
    Er musste erraten haben, dass ich in Gedanken wieder und wieder die Bewegungen übte, die nötig sein würden, meine Waffe zu ziehen und ihn zu erschießen, falls es nötig sein würde.
    »Haben Sie ihn denn nicht schon genug bestraft?«, fragte ich.
    »Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, erwiderte er mit einem rasiermesserscharfen Lächeln im Gesicht.
    Ich schob meinen Teller weg und lehnte mich zurück. So vergrößerte ich meinen Bewegungsraum und lief nicht Gefahr, am Tisch hängen zu bleiben, wenn ich nach meiner Heckler & Koch greifen musste. Entsichert hatte ich sie noch vor der Tür. In Krahls amüsiertem Blick konnte ich lesen, dass er wusste, was in meinem Kopf vorging. Er ließ mich nicht eine Sekunde aus den Augen.
    »Blöde Situation, was?«, meinte er fast mitfühlend. »Sie würden mich zu gerne abknallen, dürfen es aber erst, wenn ich irgendwas mache. Wenn ich Sie oder ihn angreife. Aber dann wird es zu spät sein, da können Sie sicher sein. Ich möchte jetzt nicht in Ihrer Haut stecken, Herr Kollege.«
    »Was soll das werden, Krahl?«, fragte ich müde. »Hören Sie doch auf mit dem Unsinn. Sie haben doch schon genug angerichtet.«
    »Jetzt müssen Sie mir erklären, dass der Richter Milde walten lassen wird, wenn ich aufgebe«, erwiderte er grimmig. »Dass man alles wieder hinbiegen kann, wenn ich nicht noch mehr Dummheiten mache. Dass Sie mir einen guten Anwalt besorgen und sehr nett zu mir sein werden. Dass ich eventuell sogar Bewährung kriege, und all den anderen Scheiß, den man Geiselnehmern so erzählt, um sie weich zu kochen. Sie sehen, ich hab den Text noch im Kopf.«
    »Sie haben keine Chance, Krahl. Sie kommen hier nicht lebendig raus.«
    »Richtig, den Satz hatte ich doch glatt vergessen. Ich verrate Ihnen was: Ich will hier gar nicht lebendig raus. Auf die paar Tage kommt es mir nicht mehr an. Lieber heute und hier einen anständigen Tod, als in irgendeinem Klinikbett verrecken.«
    »Warum sind Sie so sicher, dass Sie nicht zu retten sind? Was fehlt Ihnen denn?«
    »Das geht Sie einen Scheißdreck an. Es reicht, wenn Sie wissen, dass ich demnächst krepieren werde wie ein Vieh. Haben Sie gewusst, dass man von zu viel Stress Krebs kriegen kann? Von zu viel Gram, zu vielen Schmerzen? Haben Sie das gewusst?«
    »Die Medizin hat in den letzten Jahren …«
    »Seien Sie still, okay?«, fuhr er mich an.
    Sekundenlang schwiegen wir. Frau Gardener
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher