Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
dass Runkel endlich Krahls Bruder in Kanada erreicht hatte. Aber auch der wusste nur, dass Krahl vor etwa zwei Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. In einem der letzten Telefonate hatte er etwas von einer ärztlichen Untersuchung erwähnt, auf die er sich nicht gerade freute. Er war noch wortkarger gewesen als sonst. Dann hatte er sich nicht mehr gemeldet, und unter seiner Nummer wurde nicht abgenommen.
    Ich stieg in meinen Peugeot und fuhr nach Hause, wo meine Mädchen mich zornig und ausgehungert erwarteten. Aber als sie meine Miene bemerkten, schluckten sie ihr Gemecker hinunter. Zu essen war nichts mehr im Haus. Ich bot ihnen Geld für Hamburger an, aber sie wollten nicht in die Stadt. So bestellten wir wieder einmal Pizza und Cola. Und für mich eine Flasche Chianti.
    »Kein guter Tag?«, fragte Sarah beim Essen vorsichtig.
    »Ein absolut beschissener Tag.« Ich erzählte ihnen, was geschehen war. »Und inzwischen ist der Professor vermutlich tausend Kilometer weit weg. Oder tot«, schloss ich, stellte meinen Teller in die Spüle und öffnete die Weinflasche. »Lust auf eine Runde Monopoly?«
    Sie hatten eindeutig keine, taten mir aber den Gefallen, räumten ohne Zank den Tisch ab und holten die Schachtel. Um zehn war ich der Star des Abends, besaß acht der teuersten Straßen, jede mit mindestens einem Hotel bebaut. Ich wurde von Minute zu Minute reicher und deprimierter, und meine Flasche leerte sich zusehends. Das Handy lag eingeschaltet auf dem Tisch und blieb still.
    »Wo er jetzt wohl ist?«, fragte Louise.
    »Bestimmt ist der schon in Amerika«, meinte Sarah überzeugt. »Also ich würd an seiner Stelle nach Amerika fahren. Nach Florida. Da muss es cool sein, da sind ganz viele Stars.«
    Schon wieder kassierte ich ein Bündel Scheine. »Er hat Fahrkarten in vier verschiedene Länder gekauft. Und vermutlich ist er dann gar nicht mit dem Zug gefahren, sondern hat sich ein Auto gemietet oder ein Taxi.«
    Nein, das stimmte natürlich nicht. Die Autovermietungen und Taxizentralen hatten wir längst überprüft. Grotheer konnte höchstens zu Fuß unterwegs sein. Oder mit der Straßenbahn. Ich würfelte zwei Sechsen in Folge, kam über Los und zog 2000 Euro ein. Der Platz vor mir wurde knapp für das viele Geld.
    »Weißt du noch, als wir beide mal in Amerika waren?«
    »Das werde ich im Leben nicht vergessen«, seufzte ich. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das damals für Mama und mich bedeutet hat, dass unsere süßen Mädels auf einmal weg waren.«
    »Wart ihr sehr traurig?«
    »Unvorstellbar traurig.«
    »Alle beide?«
    »Ja. Alle beide.« Ich griff nach der Flasche, um mein Glas wieder zu füllen. »Es war die aufregendste Nacht meines Lebens.«
    Sie kicherten und wechselten stolze Blicke. Amerika. Sehr langsam stellte ich die Flasche wieder ab. Natürlich waren sie nicht nach Amerika gefahren. Wie sollten zwei achtjährige Mädchen ohne Reisekasse und Gepäck wohl nach Amerika kommen? Ich schlug den Korken in die Flasche und sprang auf.
    »Entschuldigt. Aber ich muss nochmal kurz weg. Ich glaube, jetzt weiß ich, wo er steckt. Ihr rührt mein Geld nicht an, okay?«

28
    »Kommen Sie rein«, sagte Helen Gardener ohne jede Überraschung in der Stimme. »Die warten schon auf Sie, glaub ich.«
    Heute trug sie ein hübsches Kleid, hatte sich ein wenig zurechtgemacht und machte einen deutlich frischeren Eindruck auf mich als bei unserem letzten Zusammentreffen. Im Stehen wirkte sie auch nicht gar so fett wie in ihrem Fernsehsessel.
    Mit der Hand in der Nähe des Pistolengriffs folgte ich ihr ins Wohnzimmer. Der Tisch war schön gedeckt, Kerzen flackerten, eine nahezu leere Weinflasche stand daneben, aus einem kleinen Radio kam zärtliche Musik. Krahl und Grotheer saßen auf der Couch vor leeren Tellern. Krahl hielt dem Professor einen kurzen sechsschüssigen Revolver an die Schläfe.
    »Sie enttäuschen mich. Ich hatte früher mit Ihnen gerechnet, Herr Kollege«, begrüßte er mich. »Hatte schon überlegt, ob ich bei Ihnen anrufen muss. Und nehmen Sie bitte die Hand aus dem Jackett. Dann nehm ich auch meine Wumme hier weg.« Seine Stimme passte nicht zu seinem drahtigen Typ. Sie war zu hoch und hatte keine Resonanz.
    Man sah auf den ersten Blick, dass er krank war. Ich hatte einen durchtrainierten Kerl mit Fremdenlegionärs-Visage erwartet. Statt dessen wirkte er auf mich wie ein Mann, der nach einer langen, langen Anstrengung mit letzter Kraft am Ende seiner Reise angekommen war. Gehorsam zog ich die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher