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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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Grotheers roten Volvo zu suchen.
    »Und jetzt?«, fragte ich zermürbt. »Was machen wir jetzt?«
    Nein, ich wollte nicht mehr Chef sein. Ich sehnte mich danach, dass jemand mir sagte, was ich zu tun hatte.
    »Essenszeit«, meinte Balke mit Blick auf seine Uhr. »Hoffentlich kriegen wir noch was. Heute ist Freitag, da gibt’s Fisch. Und ich mag Fisch.«

26
    Vom Mittagessen in der Kantine weiß ich nur noch, dass es grauenhaft schmeckte. Ich hasse Fisch, vor allem, wenn er in Begleitung von matschigem Kartoffelsalat nach badischem Rezept daherkommt, und mit Remouladensauce, die mir regelmäßig Sodbrennen verursacht. Wir saßen zu dritt am Tisch, schwiegen vor uns hin und horchten auf unsere Handys. Hin und wieder klingelte Balkes, und ich staunte darüber, wie er für jede der Anruferinnen ein paar nette Worte fand, so dass sie bei Bedarf wieder mit ihm sprechen würde. Nur eine schien so sauer auf ihn zu sein, dass alles gute Zureden zwecklos war. Achselzuckend löschte er ihre Nummer.
    Vangelis erhielt einen Anruf von ihrem Vater, der ihr klarmachte, dass sie abends spätestens um acht in der Taverne zu stehen habe, und zwar pünktlich. Er tat dies in einer Lautstärke, dass wir anderen ohne Probleme mithören konnten. Soweit ich verstand, war die Feier einer griechischen Verlobung geplant, bei der sensationelle Umsätze erwartet wurden.
    Mich riefen meine Töchter an, um sich zu beschweren, dass ich Pizza ohne Salami und mit Oliven gekauft hatte, obwohl sie doch ausdrücklich welche mit Salami und ohne Oliven bestellt hatten. Ich riet ihnen, die Oliven herunterzupflücken und dafür Salami aus dem Kühlschrank draufzulegen.
    Kurz nach zwei hatten wir auch die letzten Spuren aus unseren Dessertschälchen gekratzt. Ich beschloss, ein Gespräch mit Grotheers Frau zu führen. Vielleicht hatte sie ja eine Idee, wohin ihr Mann geflüchtet sein könnte. Und es gab noch mehr Fragen, die ich an sie hatte.
     
    Frau Grotheer versetzte mich in Erstaunen. Fast hatte ich den Eindruck, das Verschwinden ihres Mannes hätte einen großen Druck von ihr genommen.
    »Ich will ganz offen sein, Frau Grotheer.«
    »Ich bitte darum«, sagte sie matt lächelnd und faltete die Hände in ihrem Schoß. »Wir haben wohl lange genug Verstecken gespielt.«
    Ich klärte sie in groben Zügen über unseren Verdacht auf, ihr Mann habe seine mildtätigen Gaben im Wesentlichen steuerbefreit in seine eigene Tasche gespendet.
    »Ich weiß nichts von diesen Dingen. Aber es wird wohl so sein, wie Sie sagen.«
    »Das kann großen Ärger geben. Sehr großen Ärger.«
    Sie hob die Schultern. »Wissen Sie, Herr Gerlach«, sagte sie leise. »Wir sollten Menschen vielleicht nicht leichtfertig für Taten verurteilen, die zu begehen wir nie in Versuchung kamen. Sind Sie sicher, dass Sie widerstanden hätten an seiner Stelle? Hätte ich es? Ich weiß es nicht?«
    Nun kamen wir zu dem Thema, vor dem ich mich ein wenig fürchtete. »Sie werden sich vermutlich Ihre Gedanken gemacht haben, warum Krahl Frau Doktor Schmitz ermordet hat. Und wenn Sie mir die Unterstellung verzeihen – jetzt, im Nachhinein, werde ich den Verdacht nicht los, dass Sie sogar mit dieser Möglichkeit gerechnet haben. Dass Sie deshalb so gelassen blieben.«
    »Lag es nicht auf der Hand?«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    Sie senkte den Blick. »Mein Mann und ich leben seit vielen Jahren … nebeneinander her. Wie so viele Paare. Sie werden verstehen, was ich damit andeuten will.«
    »Gab es Gründe für diese Entfremdung?«
    Einige Sekunden zögerte sie noch. Dann sah sie auf und mir geradewegs in die Augen. Sie hatte beschlossen, reinen Tisch zu machen. »Selbstverständlich gab es Gründe. Und es waren genau die, die Sie vermuten. Anfangs, ach …« Ihr Blick flackerte. Aber sie hielt stand. Sie sah nicht weg. »Anfangs, in den ersten Jahren, habe ich noch gelitten. Wenn er abends spät nach Hause kam mit irgendeiner Ausrede, obwohl er die Klinik doch schon vor Stunden verlassen hatte. Wenn er dieses Leuchten in den Augen hatte, dieses vergessene Lächeln im Gesicht, das schon lange nicht mehr mir galt. Wenn er nach einem fremden Parfüm roch. Wie viele Frauen mögen Ähnliches durchgemacht haben? Wie viele mögen wie ich gehofft haben, sich selbst belogen, wieder und wieder belogen? Ihm vergeben, wieder und wieder? Die Schuld bei sich selbst gesucht?«
    Sie brach ab und sah wieder in ihren Schoß. Als ob sie sich für die Untreue ihres Mannes auch noch schämte.
    »Seit wann ging das
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