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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross
Autoren: Ditto Beth
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Tante Jannie.

DREI
    3
    WENN MAN EINEN SÜDSTAATENAKZENT HAT, fällt es einem sehr schwer, einsilbige Wörter auszusprechen. Unsere Sprache ist träge und verschwenderisch, als müssten wir jedem Wort so viele Klänge wie möglich entlocken und sie in der feuchtwarmen Atmosphäre nachhallen lassen. Aus einer Silbe werden durch den Südstaatenakzent zwei. Irgendwo kann man immer ein »ey« unterbringen und den kurzen Wortstumpf melodischer machen. Aus Jane wird Jayayne, als würde der Mund nur ungern von der Sprache lassen und die Zunge den Klang eine Sekunde länger festhalten wollen.
    Wenn ich kann, vermeide ich Wörter mit nur einer Silbe. Abkürzungen sind nichts für mich. Ein »mic« ist bei mir immer ein »microphone«. Ein »bike« ist ein »bicycle«. Tut mir echt leid, falls du Mike heißt, werde ich dich Mikey nennen. Wenn du damit absolut nicht leben kannst, vielleicht auch Michael. Eine andere Art, das Problem mit den einsilbigen Namen zu lösen, besteht darin, einen weiteren Namen anzuhängen. Aus Lee wird Lee Lee. Aus Jane wird Jane Ann. June wird zu June Bug. Manchmal wird ein Name durch den Akzent auch völlig unkenntlich gemacht oder in einen ganz anderen Namen verwandelt. Wie bei meiner Mom Velmyra. Die meisten Leute nennen sie Myra, meine Oma väterlicherseits dachte allerdings jahrelang, sie heiße Maura. Sie erschrak fürchterlich, als sie die Geburtsurkunde meiner Mutter sah. All die Jahre über hatte sie ihre Schwiegertochter beim falschen Namen gerufen, und niemandem war es aufgefallen.
    Ich will euch von meiner Mutter erzählen, Velmyra Estel – benannt nach ihrer Großmutter Velvie May (deren Zwillingsbruder Elvie Ray hieß) und ihrer anderen Großmutter Estel Robinson.
    Irgendwann, als meine Mutter noch ein Kind war, sah meine Großmutter sie an und sagte: »Jetzt bist du die andere Frau.« Meine Großmutter hatte erfahren, dass ihre Tochter missbraucht worden war, es störte sie nicht, geschweige denn, dass sie Anzeige erstattet hätte. Sie hätte die Sache gewiss auf sich beruhen lassen, doch eine Freundin und Vertraute sagte: »Du musst mit deinem Mädchen zum Arzt gehen. Man weiß nie, was sie sich eingefangen hat.« Nach dem Besuch beim Arzt wurde der Fall an die Behörden weitergegeben. Und so kam es, dass meine Mutter, als sie noch nicht einmal das Teenageralter erreicht hatte, in einem Gerichtssaal vor einem Richter saß, der darüber entschied, ob sie von ihrem Vater vergewaltigt worden war oder nicht.
    Der Alltag in Arkansas war damals von einem extremen Sexismus geprägt. Männer genossen Vorrechte, die überhaupt nicht als solche wahrgenommen wurden, denn so war das nun mal, so war es immer gewesen, und so würde es auch immer bleiben. Die Herrschaft des weißen Mannes durfte nicht infrage gestellt werden, schon gar nicht von einer Zwölfjährigen, die Lügenmärchen über ihren eigenen Vater verbreitete. In einer Gegend, in der so viele Männer Missbrauch trieben, war das gesamte System darauf ausgerichtet, einen solchen Umstand zu leugnen, für normal zu erklären, unstrafbar zu machen.
    Das Gerichtsverfahren begann, als meine Mutter zwölfeinhalb war, und zog sich über drei Jahre hin, bis sie fünfzehneinhalb Jahre alt war. Der Prozess war Stadtgespräch, und kaum jemand stand auf der Seite meiner Mutter. In der Schule war es unerträglich für sie. In einem Artikel bezeichnete die Lokalzeitung fälschlicherweise den Bruder meiner Mutter als Angeklagten. Überall waren Gerüchte im Umlauf, denen man nicht aus dem Weg gehen konnte.
    Menschen traten vor Gericht, um gegen meine Mutter auszusagen. Meine Großmutter nahm ihre Tochter und ihren kleinen Sohn, meinen Onkel, und floh mit ihnen zu Tante Jannie. In der Nacht vor der Anhörung schlich sie sich jedoch davon und traf sich mit dem Angeklagten, ihrem Ehemann, in einem Hotelzimmer. Seine Anwälte hatten sich draußen auf der Straße versteckt, fotografierten sie beim Betreten und Verlassen des Hotels und legten dem Richter die Abzüge vor. »Euer Ehren, hier ist ein Foto, das die Frau des Beschuldigten zeigt, die Mutter des Mädchens, wie sie heute Morgen gemeinsam mit dem Angeklagten ein Hotel verlässt! Weshalb sollte sie zu ihm halten und neben ihm schlafen, wenn er sich der entsetzlichen Dinge schuldig gemacht hätte, die ihm hier vorgeworfen werden?«
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