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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross
Autoren: Ditto Beth
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flippten aus, als sie mitbekamen, dass es bei mir zu Hause verboten war, über Schwarze zu schimpfen. Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass sie mit Leuten in Berührung kamen, die sich gegen solche Beleidigungen zur Wehr setzten und dieses Verhalten als Rassismus bezeichneten. Ein jäher Bruch mit dem Alltag in Judsonia. Meine Freunde fanden es auch absolut seltsam, dass es bei uns im Haus keine einzige Schusswaffe gab, nicht mal ein altes Jagdgewehr. Mom erlaubte es nicht. Sie hatte zu viel Gewalt erlebt, um sich in Gegenwart von Waffen wohlzufühlen. Wie hätte sie eine Waffe ansehen und nicht daran denken können, dass ihre Mutter damit gedroht hatte, ihren Bruder zu erschießen?
    Aber das war nicht das Einzige, was uns von den anderen unterschied. Mom hatte eine außerordentlich wichtige Funktion in der Stadt. In Judsonia guckten sie die meisten Leute auf der Straße nicht mit dem Arsch an. Wenn sich aber ihre Töchter schwängern ließen – oder wenn sie verhindern wollten, dass dies passierte –, wurden die Mädchen zu uns nach Hause gebracht, wo meine Mutter sie über Verhütungsmaßnahmen aufklärte und Abtreibungen durchführte. Mom kämpfte auf ihre eigene Art gegen Gewalt, Rassismus und Sexismus, und das als alleinerziehende Mutter in Arkansas in den Achtzigern. Dafür wurde sie als Hexe verteufelt.
    Velmyra war Krankenschwester. Wenn ich als Kind gefragt wurde, was ich einmal werden wollte, sagte ich: »Krankenschwester, wie meine Mom.« Eigentlich war es nur folgerichtig, dass meine Mom keinen ungesunden Lastern anhing. Sie arbeitete hart dafür, andere Leute gesund zu machen. Und sie selbst versuchte ebenfalls, möglichst gesund zu bleiben. Das einzige Problem waren ihre Diäten. Mom war immer auf Diät, und wenn sie gerade keinen Mann hatte, waren ihre Speisepläne besonders extrem. Nachdem mein Vater sie verlassen hatte, wurde sie immer schmächtiger. Sie schnitt sich die Haare und hatte nun eine niedliche, wilde Frisur, trug Turnschuhe von Converse und verschwand manchmal für mehrere Tage. Als ich auf die Highschool kam, hatte sich Mom, die früher meine Figur hatte, auf Size Zero heruntergehungert. Sie verschwand vor unseren Augen.
    Dadurch, dass wir nie etwas zu essen im Haus hatten, wurde es auch nicht besser. Soweit ich mich erinnern kann, gab es in unseren Schränken nie Lebensmittel. Und wir hatten auch kein Telefon, um Hilfe zu rufen, wenn die Not zu groß wurde und Mom nirgends zu finden war. Eines schönen Tages im Sommer gab sie das gerade neugeborene Baby Nummer fünf in die Obhut meiner großen Schwester Akasha. Ohne einen Cent in der Tasche und mit nichts bewaffnet außer ihrem natürlichen Charme und ihrer Verzweiflung, machte sich Akasha auf den sehr weiten Weg zum Lebensmittelladen. Die Sonne knallte ihr auf den Kopf. Sie war nur ein Teenager und überlegte, wie sie den Mann im Laden dazu bringen konnte, ihr ein bisschen Milch zu schenken, um ihren Bruder zu beruhigen.
    Natürlich wollte der Mann wissen, wo unsere Mutter war. Unsere Mutter arbeitete. Sie tat ihr Möglichstes, damit wir ein Dach über dem Kopf hatten, und sie schuftete so viel sie konnte, damit sie Lebensmittel in die leeren Schränke bekam. Ich erinnere mich an Akasha, die stoisch die Zähne zusammenbiss und die Tränen runterschluckte. Sie war zu stolz, um vor dem Mann im Laden zu weinen, selbst wenn sie ihn mit ihren Tränen hätte erweichen können, ihr ein paar Liter Milch zu schenken. Ich erinnere mich daran, wie Akasha mit leeren Händen nach Hause kam und das Baby im Schatten auf der Veranda auf meinem Schoß schrie. Ich schaukelte es auf den Knien und versuchte, es durch die Bewegung zu beruhigen, aber Essen war das Einzige, das hätte helfen können. Akasha war sprachlos vor Zorn, erstickt von Gefühlen, die zu groß für sie waren. Welche Art von Monster wohnte in meiner Schwester? Ein Ungetüm aus Schmerz und Wut, aus Angst und Ungerechtigkeit, ein aus schierer Erschöpfung bestehendes wildes Tier. Sie stieg die Stufen zur Veranda hinauf, und ihre leeren Hände sagten alles. Akasha trank Wasser aus dem Hahn und trampte zu Tante Jannie, die immer eine Tasse Milch für uns übrig hatte und wahrscheinlich auch noch ein paar kleine süße Little-Debbie-Kuchen in die Tüte packen würde – vielleicht sogar einen Marshmallowkuchen oder einen mit Schokolade überzogenen
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