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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter
Autoren: Jo Nesbo
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ebenfalls ein Triumph der Fiktion waren. Auch sie
gehörten dem Tertiärsektor an, besser gesagt, dem Dienerstab, der für die
reichen Ehemänner arbeitete. Wären diese Frauen wenigstens dumm gewesen, aber
nein, sie hatten als ein Teil ihrer Schönheitspflege Jura studiert, Informatik
oder Kunstgeschichte - natürlich auf Kosten der Gesellschaft -, um dann als
überqualifiziertes Spielzeug in einer Villa zu enden. An diesem Ort tauschten
sie ihre Geheimnisse aus, besprachen, wie man seine Sugardaddies
zufriedenstellte, ein bisschen eifersüchtig machte und bei Laune hielt, bis man
ein Kind von ihnen im Bauch hatte und die Herren der Schöpfung richtig an der
Kette. Nach den Kindern war dann natürlich alles anders, dann war das Kräftegleichgewicht
auf den Kopf gestellt und der Mann kastriert und schachmatt. Kinder ...
    »Einen
doppelten Cortado«, sagte ich und setzte mich auf einen Hocker an der Bar.
    Zufrieden
betrachtete ich die Frauen im Spiegel. Ich konnte mich glücklich schätzen. Wie
sehr Diana sich doch von diesen smarten, gedankenentleerten Parasiten
unterschied. Sie hatte alles, was ich nicht hatte. Fürsorglichkeit. Empathie.
Loyalität. Größe. Kurz gesagt, sie war eine schöne Seele in einem schönen
Körper. Aber ihre Schönheit war nicht perfekt, dafür waren ihre Proportionen
zu speziell. Diana sah aus wie im Mangastil gezeichnet, wie eine dieser puppenartigen
japanischen Comicfiguren. Hatte ein kleines Gesicht mit einem klitzekleinen,
schmalen Mund, eine winzige Nase und große, etwas zu verwundert dreinblickende
Augen, die häufig etwas vorstanden, wenn sie müde war. Aber für mich waren es
gerade diese Abweichungen von der Norm, die ihre Schönheit hervorhoben und sie
so bezaubernd wirken ließen. Was hatte sie also verleitet, mich zu erwählen?
Den Sohn eines Chauffeurs, einen gerade mal mittelmäßig begabten
Wirtschaftsstudenten mit mittelmäßigen Zukunftsaussichten, der noch nicht
einmal durchschnittlich groß war? Vor fünfzig Jahren hätte ich mit 1 ,68 Meter noch nicht zu
den Kleinen gehört, auf jeden Fall nicht in Mitteleuropa. Und interessierte
man sich ein bisschen für anthropometrische Geschichte, konnte man
herausfinden, dass 1 ,68
Meter vor nur hundert Jahren genau die Durchschnittsgröße norwegischer Männer
war. Nur dass die Entwicklung zu meinen Ungunsten verlaufen war.
    Es
war erstaunlich, dass sie sich in einem Augenblick geistiger Umnachtung für
mich entschieden hatte. Vollkommen unbegreiflich aber war mir, dass eine Frau
wie Diana - die wirklich jeden haben konnte - mich noch immer behalten wollte.
Tag für Tag. Welcher geheimnisvollen Blindheit hatte ich es zu verdanken, dass
sie meine Jämmerlichkeit nicht wahrnahm, meine fehlerhafte Natur, meine
Schwäche, wenn ich auf Widerstand stieß, oder meine stupide Bosheit, wenn ich
mit stupider Bosheit konfrontiert wurde? Wollte sie das alles nicht sehen? Oder
hatte ich es meiner Gerissenheit zu verdanken, dass mein eigentliches Ich in
diesem gesegneten toten Winkel der Liebe gelandet war? Natürlich war da aber
auch noch das Kind, das ich mich bisher standhaft geweigert hatte, ihr zu
schenken. Welche Macht hatte ich eigentlich über diesen Engel in
Menschengestalt? Diana sagt, ich hätte sie vom ersten Moment an mit meiner
widersprüchlichen Mischung aus Arroganz und Selbstironie verzaubert. Wir waren
uns auf einem nordischen Studentenabend in London begegnet, und auf den ersten
Blick hatte sie sich kaum von den Frauen unterschieden, die jetzt hier um mich
herum saßen: eine blonde, nordische Schönheit aus Oslo-West, die in einer
Metropole Kunstgeschichte studierte, zwischendurch als Model arbeitete, gegen
Krieg und Armut war und Partys und Spaß liebte. Drei Stunden und sechs Guinness
später hatte ich begriffen, wie sehr ich mich geirrt hatte. Erstens
interessierte sie sich wirklich für Kunst, sie war fast besessen davon. Zweitens
konnte sie ihre Frustration darüber zum Ausdruck bringen, einem System
anzugehören, das Kriege gegen Menschen führte, die einfach nicht Teil des
westlichen Kapitalismus sein wollten. Diana erklärte mir, dass die Ausbeutung
der Entwicklungsländer durch die reichen Staaten auch noch nach Abzug der
Entwicklungshilfe ein einträgliches Geschäft war. Drittens hatte sie Sinn für
Humor. Meinen Humor, was wohl die Voraussetzung dafür ist, dass Typen wie ich
überhaupt Frauen für sich gewinnen können, die größer als 1,70 sind. Und viertens - und
das war ganz ohne Zweifel das Entscheidende
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