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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter
Autoren: Jo Nesbo
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weit seitlich auf
dem Tisch, dass er sie nicht erreichen kann.«
    »Warum
das denn?«
    »Weil
es in jedem Verhör irgendwann zum Crescendo kommt und es Zeit für die großen
Emotionen wird. Dann fragst du, was seine Kinder wohl denken werden, wenn sie
erst erfahren, dass ihr Vater ein Mörder ist. Stehen ihm dann die Tränen in den
Augen, reichst du ihm die Rolle Papier. Dann bist du der Verständnisvolle, der
ihm helfen will, und dem er all die schlimmen Dinge anvertrauen kann. Ja, und auch
das Dumme, diesen dummen Mord, der einfach irgendwie passiert ist.«
    »Mord?
Ich kapiere überhaupt nicht, wovon du redest. Wir rekrutieren doch Leute, oder?
Wir wollen sie doch nicht des Mordes überführen?«
    »Ich
tue das«, sagte ich und nahm meine Jacke vom Stuhlrücken. »Und deshalb bin ich
auch der beste Headhunter der Stadt. Außerdem möchte ich dich bitten, morgen
das Gespräch mit Lander und dem Kunden zu übernehmen.«
    »Ich?«
    Ich
ging durch die Tür und lief, gefolgt von Ferdinand, über den Flur, vorbei an
den 25 anderen
Büros der Firma Alfa. Eine mittelgroße Personalvermittlung, die seit 15 Jahren auf dem Markt
überlebte und jedes Jahr zwischen 15 und 20 Millionen Kronen
erwirtschaftete, die abzüglich einiger viel zu bescheidener Boni für die Besten
von uns in den Taschen des Besitzers in Stockholm landeten.
    »Piece
of cake. Die Infos sind alle in seinem File gespeichert.
Okay?«
    »Okay«,
sagte Ferdinand. »Unter einer Bedingung.«
    »Bedingung?
Ich tue dir doch einen Gefallen.«
    »In
der Galerie deiner Frau ist heute Abend doch so eine Vernissage ...?«
    »Ja,
was ist damit?«
    »Kann
ich kommen?«
    »Bist
du eingeladen?«
    »Das
ist es ja. Bin ich eingeladen?«
    »Wohl
kaum.«
    Ferdinand
blieb wie angewurzelt stehen und verschwand damit aus meinem Blickfeld. Ich
ging weiter, wohl wissend, dass er jetzt mit hängenden Armen dastand, mir
nachblickte und sich ärgerte, dass es ihm wieder einmal verwehrt sein würde,
mit dem Jetset der Stadt anzustoßen. Wieder kein Champagner mit den Königinnen
der Nacht, den Promis und dem Geldadel. Wieder würde er nicht teilhaben am Glamour,
der Dianas Vernissagen umgab, und wieder blieb ihm die Gelegenheit versagt,
neue Kontakte mit potenziellen Kandidaten zu knüpfen, sei es nun für eine
Stellung, fürs Bett oder eine andere sündige Zusammenkunft. Der Arme.
    »Roger?«
Es war das Mädchen vom Empfang. »Da waren zwei Anrufe. Einer von ...«
    »Jetzt
nicht, Oda«, unterbrach ich sie, ohne aufzublicken. »Ich bin etwa
fünfundvierzig Minuten weg. Nimm keine Nachrichten entgegen.«
    »Aber
...«
    »Die
rufen schon wieder an, wenn es wichtig ist.« Ein hübsches Mädchen, aber sie
musste noch einiges lernen. Oda. Oder hieß sie Ida?
     
    Kapitel
2
     
    Tertiärsektor
     
    Der frische, salzige Geschmack der Abgase weckte in mir
Assoziationen zu Meer, Ölförderung und Bruttosozialprodukt. Die schräg
einfallenden Sonnenstrahlen glitzerten auf den Fenstern der Bürogebäude, die
scharf umrissene, rechteckige Schatten auf das alte Industriegelände warfen.
Hier war inzwischen ein Stadtteil mit viel zu teuren Geschäften, viel zu teuren
Wohnungen, viel zu teuren Büros und viel zu teuren Beratern gewachsen. Von
meinem Standpunkt sah ich gleich drei Fitnessstudios, alle ausgebucht von
morgens bis abends. Ein junger Typ im Corneliani-Anzug mit cooler Brille grüßte
mich ehrerbietig, als wir aneinander vorbeigingen. Ich nickte ihm beiläufig zu,
ohne die leiseste Ahnung zu haben, wer er war. Vermutlich arbeitete er in einer
der anderen Personalagenturen. Vielleicht bei Edward W. Kelley? Nur Headhunter
grüßten Headhunter so unterwürfig. Oder um es anders zu formulieren: Sonst
grüßte niemand, sonst wusste niemand, wer ich war. Das lag zum einen sicher an
meinem begrenzten sozialen Umfeld, sah man einmal vom Bekanntenkreis meiner
Frau Diana ab. Zum anderen arbeitete ich in einer Firma, die - genau wie Kelley
- Exklusivität verkörperte und das Rampenlicht mied. Menschen, von denen man
nie etwas hörte, ehe man qualifiziert genug für eine der Toppositionen in
diesem Lande war und eines Tages von uns angerufen wurde. Dann klingelte bei
dem Namen Alfa etwas in den Köpfen der Leute. Wo hatte man diesen Namen bloß
schon einmal gehört? Bei einer der Vorstandssitzungen, in Verbindung mit der
Ernennung des neuen Abteilungsleiters? Genau, das ist es, man hat eben doch von
uns gehört. Aber man weiß nichts. Denn die Diskretion ist unsere wichtigste
Tugend. Unsere einzige.
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